Grenzen und Ergänzungen
Grenzen von und Ergänzungen zu den Konzepten von Laclau und Mouffe
Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine Perspektive zu entwickeln, anhand derer Diskurse auch visuell denkbar sind. Dies bedeutet, sensibel für die Besonderheit visueller Artikulationen zu sein, sie nicht analog verbaler Texte zu betrachten, wenn dies nicht angemessen ist. Während manche Theoretiker*innen eine Position stark machen, bei der Bilder ebenfalls als Texte betrachtet werden – so z. B. John Fiske stellvertretend für die Cultural Studies [32] (vgl. Fiske 1989) – verkennt diese Betrachtungsweise die Eigenart von Bildern. Visuelle Diskurse sind weder lediglich eine Verdoppelung des sprachlichen Diskurses, noch ist es sinnvoll die Wirkungsweise ihrer Artikulationen mit der von Texten gleichzusetzen. Während beide Artikulationstypen vermutlich im Dienste einer Konstruktion von Universalität und Alternativlosigkeit herangezogen werden, muss davon ausgegangen werden, dass sie hierbei einer anderen Logik folgen. Der folgende Abschnitt soll aufzeigen, in welchen Aspekten eine direkte Übertragung, der auf verbalen Artikulationen gründenden Konzepte auf visuelle Artikulationen unzureichend oder irreführend ist. Solche Unterschiede zwischen verbalen und visuellen Artikulationen, die durch die explorative Betrachtung der Schwangerschaftsratgebertitelseiten deutlich wurden, sind deshalb der Ausgangspunkt des dritten Teils dieser Arbeit. Diskrepanzen fallen bezüglich der Unterscheidbarkeit von Signifikant und Artikulation, des Ausmaßes eines ausbleibenden Widerspruchs sowie der erläuterungsbedürftigen Homogenität der Artikulationen auf. Solche Unterschiede werden durch eigene Überlegungen sowie ergänzende Theorien und Konzepte eingehender betrachtet, die hierfür auf den Gegenstand der visuellen Artikulation übertragen werden. Entsprechend der zuvor skizzierten Vorgehensweise einer*s Experimentatorin*s (vgl. Foucault 1994) werden im Verlaufe dieses Abschnittes Vermutungen aufgestellt, plausibilisiert und fusioniert, jedoch mitunter Ungeeignetes und Problematisches dieser Vermutungen herausgearbeitet und infolgedessen teilweise wieder verworfen. Das Ziel dieser Überlegungen ist es somit, die Haltung gegenüber und die Perspektive auf visuelle Artikulationen zu verändern, um anschließend anders über Visualitäten zu denken als zuvor. Die Überlegungen bezüglich visueller Artikulationen können Konsequenzen für die Diskurtheorie im Allgemeinen bereithalten, sowie spezifisch für visuelle Artikulationen als auch visuelle Artikulationen dieses Datenkorpus sein. Stellenweise wird deshalb auf Implikation für eine Diskurstheorie im Allgemeinen eingegangen.
Die eng verbundenen und miteinander verwobenen Fragen, die somit im Vordergrund der weiteren Überlegungen stehen, sind: Welchen Unterschieden zwischen visuellen und verbalen Artikulationen, die mittels der Analyse sichtbar wurden, muss man bei der Betrachtung visueller Artikulationen Rechnung tragen? Mit welchen ergänzenden theoretischen Ansätzen lässt sich dies bewerkstelligen? Welche dieser Aspekte erweisen sich nach eingehender Reflexion jedoch als unzureichend? Und welche Rückschlüsse ergeben sich aus den Überlegungen für eine allgemeine Diskurstheorie?
Während die erste Sichtung des Datenmaterials eine gewisse Bandbreite an Bildtypen und Motiven suggeriert, hat die Analyse der Ratgebertitelseiten gezeigt, dass es sich bezüglich dieses Datenkorpus schlussendlich nicht um eine Vielzahl stark unterschiedlicher Bilder handelt. Stattdessen zeigt sich eine beachtliche Homogenität des Dargestellten. Wenn auch kleinere Details variieren, so sind gewisse zentrale Aspekte auffallend ähnlich. Die Bilder sind hierdurch zwar nicht identisch, gleichen sich jedoch stark und sind damit bezüglich ihrer Bedeutungen weitestgehend äquivalent. Mit Nonhoff und Laclau/Mouffe gesprochen sind die Bilder demnach stets eine Verkörperung verschiedener und verschieden langer Abschnitte ein und derselben Äquivalenzkette ‚Schwangerschaft‘. Während gewisse Elemente somit häufig oder immer im Diskurs der Schwangerschaft auftreten und untereinander starke Überlappungen aufweisen – so z. B. treten der soziale Hintergrund der Schwangeren oder die markante Inszenierung der Rundungen ihres Schwangerschaftsbauchs häufig auch simultan mit bequemer Kleidung und der häuslichen Sphäre auf – scheinen andere Elemente nachrangiger. Diese sind dadurch in unterschiedlicher Intensität und Variation im Korpus vorhanden und mit den dominanten Aspekten kombinierbar.
Auch wenn bei Bildern meist von „einer Überfülle an darstellerischen Möglichkeiten, Verweisen und Interpretationsmöglichkeiten“ (Maasen et al. 2006: 8) ausgegangen wird, muss jedoch ganz ähnlich wie bei verbalen Artikulationen davon ausgegangen werden, dass sie „nicht durch das Prinzip des Überflusses, sondern durch das der Verknappung regiert werden“ (ebd.). Diese Prozeduren der Verknappung, der Ein- und Ausschließung, und der Sichtbar- und Denkbarmachung, führen dazu, dass Bilder nicht länger als illustrativ oder indikativ betrachtet werden dürfen, sondern ihren konstitutiven Charakter für soziokulturelle Phänomene und das Soziale eingeräumt werden muss. Dies führt dazu, dass es sich bei dem hier untersuchten Korpus nicht um eine Ansammlung unterschiedlichster visueller Artikulationen handelt, also einer Darstellung unter vielen ebenso möglichen und wahrscheinlichen, sondern schlussendlich um eine Variation einer Einzigen, d. h. der immer gleichen Artikulation als Teilstück einer Äquivalenzkette oder zumindest ein Konglomerat einer überschaubaren Anzahl an Reformulierungen einer einzigen Darstellungsweise. Der Grad der Ähnlichkeit der Fotografien und der hierdurch wachsenden Anzahl an äquivalenzierten Bildelemente führt somit zu einer Bildung einer umso längeren Äquivalenzkette, die schließlich in einer antagonistischen Zweiteilung des diskursiven Raumes resultiert. Auf der einen Seite all dieses, was zumindest in einem Aspekt nicht identisch, jedoch hinreichend äquivalent ist und auf der anderen Seite das Ausgeschlossene, das nicht-Artikulierbare. Zwar bedroht dieses Ausgeschlossene die Existenz des Sozialen, sichert jedoch ebenso seine Stabilität. Nonhoff betont jedoch, dass eine solche Äquivalenzkette einen Repräsentanten benötigt, der konträr zu jedem Element der Äquivalenzkette des Mangels stehen kann. Die Frage nach einem visuellen Repräsentanten stellt jedoch Herausforderungen dar, die Gegenstand des nächsten Abschnittes sind.
nach oben | direkt weiter zu Signifikant vs. Artikulation
[32] Unter „Texten” wird hierbei jegliche Form von erzählbaren und prinzipiell verschriftbaren Geschichten verstanden. Auch Bilder oder Filme können solche Texte darstellen.