Grenzen und Ergänzungen:
Entpolitisierung

Die affektive Entpolitisierung der Aufteilung des Sinnlichen

Die Ergänzungen und Anmerkungen, die im letzten Abschnitt angebracht wurden, lassen sich schließlich in einer Conclusio bündeln. Sie weisen alle daraufhin, dass die Wirksamkeit von visuellen Artikulation zur diskursiven Konstruktion von Universalität und Alternativlosigkeit nicht mit der von verbalen Artikulationen gleichgesetzt werden kann. Die Besonderheit der visuellen Artikulationen liegt vor allem in ihrer stark ausgeprägten vorsprachlichen Charakteristik, die eine affektive Resonanz erzeugen und Dissens einschränken kann, jedoch zugleich dermaßen entrüsten kann, dass sich ein Shitstorm entwickelt. Während die soziale Ordnung nach Laclau und Mouffe zwar prinzipiell und immer strittig ist, so ist die Allgegenwart von artikuliertem Dissens, wie oben schon ausgeführt, nicht plausibel. Die ontologische Kontingenz des Sozialen erfordert eine diskursive Ordnung der Dinge, eine sinnvolle Ordnung des Sozialen, die durch die Praxis der Artikulation geschaffen wird. Prinzipiell ist diese Ordnung stets kritisierbar, faktisch wird sie jedoch häufig gerade nicht herausgefordert. In anderen Situationen ist ein Ringen um die Vorherrschaft von Interpretationen, um funktionale Äquivalente einer guten Ordnung durchaus zu beobachten. Da im vorliegenden Fall ein Dissens gegenüber den visuellen Artikulationen weitestgehend ausblieb, deren Reartikulationen als verbale Aussagen jedoch Unbehagen und Dissens ermöglichte, scheint der vorrangig textbasierte Fokus von Laclau und Mouffe unzureichend für die Betrachtung von Visualitäten. Worin liegt also der Unterschied zwischen einem prinzipiell artikulierbaren und einem artikulierten Konflikt?

Die affekttheoretische Kritik allgemein an Diskurstheorien, dass diese die körperliche, materielle und dementsprechend auch affektbasierte und damit auf ganz unterschiedliche Arten sinnlich wahrnehmbare Sozialität nur unzureichend einbeziehen, macht sich hierbei bemerkbar. Ein Konzept, das ganz ähnliche Potentiale bietet, die Stabilität und Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen zu erklären, wie dies eine hegemoniale Diskurstheorie anstrebt, ist die ‚Aufteilung des Sinnlichen‘ von Jacques Rancière (2006). Sein Angelpunkt der Sinnlichkeit und der Ästhetik ermöglicht eine Perspektive, wie das Gemeinsame abseits verbal erzeugter Ordnungen auch bezüglich anderer Aspekte der Wahrnehmung und machtabhängiger Ordnungsprinzipien gedacht werden kann. Deshalb wird nun zuerst die ‚Aufteilung des Sinnlichen‘ skizziert und schließlich die Ergänzungspotentiale für eine Theorie visueller Diskurse als auch einer allgemeinen Hegemonietheorie formuliert.

Soziale Ordnung gründe laut Jacques Rancière auf einer ‚Aufteilung des Sinnlichen‘. Hierbei handelt es sich um ein ‚System sinnlicher Evidenzen‘ – d. h. grundlegende, sozial vermittelte Formen der sinnlichen Erfahrung –, das zum einen eine Existenz des Gemeinsamen aufzeigt und zugleich gewisse Teile als exklusiv festlegt (vgl. ebd.: 35; Muhle 2011: 316). Diese Komponente sinnlicher Evidenzen macht die Aufteilung des Gemeinsamen zu einem Moment der Ästhetik, denn Ästhetik ordne, was mit Sinnen wahrgenommen werden könne und folglich gesellschaftlich existent sei. In diesem Sinne ist Ästhetik der Inbegriff der Stilllegung von Kontingenz, denn sie impliziere eine Art Konsens über eine spezifische, jedoch kontingente Ordnung des Denkens und des Identifizierens (vgl. Rancière 2006: 23). Ein solcher Fokus auf die sinnliche Wahrnehmbarkeit und die Sichtbarkeit der gesellschaftlich existenten Momente bietet sich somit für die Theoretisierung visueller Diskurse als Regime des Sichtbaren besonders an. Das Konzept der Ästhetik beschränke sich aber nicht nur auf die Betrachtung der künstlerischen Sphäre der Gesellschaft und ist folglich nicht mit der Kunsttheorie, individueller Wahrnehmungsfähigkeit oder epistemologischen Grenzen zu verwechseln. Vielmehr sei auch die Frage des Teilhabens und Teilnehmens am (sinnlichen) Gemeinsamen, also, ob und wie Einzelne wahrgenommen, gesehen, gehört und gefühlt werden können, eine Frage der Ästhetik (vgl. Muhle 2011: 316). Die Aufteilung des Sinnlichen „definiert die Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten in einem gemeinsamen Raum“ und „macht sichtbar, wer, je nachdem, was er tut, und je nach Zeit und Raum, in denen er etwas tut, am Gemeinsamen teilhaben kann“ (Rancière 2006: 26). Als Regime von Normen und Gewohnheiten bestimme sie die Teilhabe und Gestaltungsmöglichkeiten am Gemeinsamen sowie, welche Subjekte anteilslos sind und bleiben (vgl. Muhle 2011: 316). Sie ist dadurch eine „konfliktreiche Verteilung von Seinsweisen und ‚Beschäftigungen‘ in einem Möglichkeitsraum“ (Rancière 2006: 66).

Als Resultat von Sichtbarmachungen und Unsichtbarmachungen sei die Aufteilung des Sinnlichen prinzipiell kontingent und demnach verhandelbar. Mittels diskursiver Artikulationen unterschiedlicher Art werden „Karten des Sichtbaren“ (ebd.: 62) gezeichnet und die Aufteilung des Sinnlichen verhandelt (vgl. Muhle 2011: 315). Genau diese Verhandlung über die Bedingungen des Erscheinens ist das, was für Rancière Politik ist (vgl. ebd.: 311). Durch diesen Fokus auf das Erscheinen, d. h. auf Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten, eignet sich eine solche ästhetische Politik für die Konzeption einer visuellen Diskursanalyse. Versteht man die Praktik der Artikulation als eine Praktik der (Un-)Sichtbarmachung, so lässt sich diese im Konzept der Aufteilung des Sinnlichen integrieren und durch dieses bereichern.

Laut Rancière bestehe das politische Moment in der Neuaufteilung des Sinnlichen und lasse sich nicht mit dem klassischen Begriff der Politik erfassen. Stattdessen schlägt Rancière vor, ihn in Kontrastierung zu einer polizeilichen Logik zu fassen (vgl. ebd.: 314), wodurch Vorgänge, die gemeinhin als politisch gelten (so alle Bereiche der institutionalisierten Politik), als polizeiliche Vorgänge bezeichnet werden. Diese seien Rancière zufolge nicht politisch, denn sie dienen der Bewahrung der bestehenden Ordnung sowie der Durchsetzung einer harmonischen Aufteilung der Gesellschaft, die jedem einen vermeintlich natürlichen und damit legitimen Ort zuweise (vgl. ebd.: 314f.). Politik hingegen entstehe im Dissens und sei im Endeffekt die Entlarvung von Kontingenz. Sie sei die Tätigkeit, die Körper von einem als natürlich zugewiesenen Ort entferne und hierdurch sichtbar werden lasse (vgl. ebd.). Damit mache sie genau das „sichtbar [.], was nicht hätte gesehen werden“ (ebd.: 315) oder als unverständlicher Lärm hätte gelten sollen. Politik störe also diese ‚natürliche‘ Aufteilung durch die Einführung eines Anteils der Anteillosen ins Gemeinsame (vgl. Rancière 2002: 132). Eine andere, der bestehenden Ästhetik zuwiderlaufende Aufteilung des sinnlich Wahrnehmbaren und damit Sagbaren werde dadurch der polizeilichen Ordnung gegenübergestellt, was auf deren Kontingenz verweise (vgl. Muhle 2011: 315). Es handelt sich somit um einen „Streit über die historisch-apriorischen Möglichkeiten des Erscheinens von Etwas als etwas Wahrnehmbares“ (ebd.).

Wenn Politik als Dissens und Streit über die kontingenten Möglichkeiten des Erscheinens und damit der (diskursiven) Existenz von Etwas gefasst wird, so ist jeder Widerspruch, jede Kontroverse und jede Empörung eine Herausforderung der als natürlich suggerierten Aufteilung des Sinnlichen. Gegen-hegemoniale Artikulationen sind folglich Artikulationen der politischen Logik, die die Regime des Sichtbaren unterwandern, während polizeiliche Artikulationen die bestehende Ordnung und damit auch die Hegemonie durch eine harmonische Reproduktion hegemonialer Artikulationen stützt. Um es mit den prägnanten Worten von Maria Muhle zu betonen:

„Politik entsteht im Dissens, das heißt immer dann, wenn eine Aufteilung des Sinnlichen der polizeilichen Ordnung, in dem jedem Teil des Gemeinsamen sein Anteil zugeordnet ist, mit einer anderen möglichen Aufteilung des Sichtbaren und Sagbaren, also des sinnlich Wahrnehmbaren, konfrontiert wird“ (ebd.).

Während die Polizei die Hegemonie stützt, bringt die Politik also das vermeintlich Unsagbare in die Aufteilung des Sinnlichen ein und fordert hierdurch ihre Neuaufteilung. Die grundlegende Kontingenz des Sozialen bedeutet weiterhin, dass soziale Verhältnisse zwar prinzipiell und immer strittig sind, jedoch, in den Begrifflichkeiten Rancières, deswegen nicht notwendigerweise politisch.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Ausführungen zum Widerspruch und der Kontingenz des Sozialen zurückkommen. Laut Laclau und Mouffe führt die prinzipielle Kontingenz des Sozialen zu einer Allgegenwart des Konflikts, die jedoch nicht in Form von Dissens artikuliert werden muss. Die obigen Ausführungen einer Trennung in eine ontische und eine ontologische Dimension ermöglichten durchaus eine Plausibilisierung der Allgegenwart eines Konfliktes. Während das Soziale also weiterhin kontingent ist, wird dieses nicht immer als kontingent verhandelt. Die diskursive Konstruktion einer Äquivalenzkette, die durch einen entleerten Signifikanten verkörpert wird, dient laut Laclau und Mouffe hierbei einer temporären Stillstellung des Konflikts der ontischen Dimension. Das, was von einem leeren Signifikanten repräsentiert wird, scheint konsensfähig als das Richtige, das Schöne bzw. das Gute interpretierbar zu sein. Eine solche Perspektive der temporären Stillstellung des Konflikts läuft m. E. jedoch Gefahr, die zuvor bemängelte theoretische Trennung von latenten und manifesten Konflikten wiedereinzuführen. Hiermit ist aber wenig gewonnen. Mithilfe der Unterscheidung von Rancière in Politik und Polizei erschließt sich eine Perspektive bezüglich der ontische Dimension, die das Ausbleiben des Widerspruchs abgesehen einer Latent-Manifest-Unterscheidung zu erfassen scheint. Während die politische Artikulation eine Artikulation von Dissens und damit artikulierter Konflikt ist, so handelt es sich bei einer polizeilichen Artikulation keineswegs um einen latenten Konflikt. Sie dient vielmehr der Konstruktion und Affirmation einer harmonischen und natürlichen Ordnung. In dieser Artikulation ist Kontingenz unsichtbar, und ohne Kontingenz ist ein Dissens folglich nicht nur latent, sondern gar nicht existent. Wird die Kontingenz jedoch sichtbar gemacht, d. h., Anteilloses in das Gemeinsame eingebracht, so handelt es sich um eine politische und keine affirmative polizeiliche Artikulation.

Aufgrund der ihnen eigenen Ästhetik in dem hier verstandenen Sinn, wären visuelle Artikulationen also theoretisch ein ideales Instrument um die bestehenden Regime des Sichtbaren herauszufordern, sie in Frage zu stellen und bisher Unsichtbarem einen Anteil am Gemeinsamen zu ermöglichen. Eine von der bestehenden Ordnung des Sichtbaren abweichende Artikulation könnte folglich den universalen Anspruch dieser Ordnung als partikular und kontingent entlarven und eine Neuverteilung des Sinnlichen bewirken. Wird jedoch diese universal suggerierte Aufteilung als harmonisch und konfliktfrei bestätigt, so handelt es sich stattdessen um die affirmative Logik der Polizei. Jedoch deutet die hier durchgeführte explorative Betrachtung etwas dem Zuwiderlaufendes an. So schöpft das vorliegende Korpus keinesfalls etwas von diesem politischen Potential aus, denn die Bilder erzeugen keinen Dissens. Dies liegt nicht etwa daran, dass der Anteil der Anteillosen marginal und die Aufteilung deshalb sehr harmonisch wäre. Wie die Analyse des Bildkorpus zeigte, ist der Anteil der Anteillosen sehr beachtlich, die sinnlich erfahrbaren Aspekte der Schwangerschaft hingegen außerordentlich homogen. Die affizierende Wirkung der analysierten visuellen Artikulationen resultiert in einer positiven Überspitzung des Sichtbaren, die zugleich zu einer Unsichtbarmachung alles anderen führt. Um ihre Sogwirkung entfalten zu können, scheint es, dass Schwangerschaft sinnlich aufgeteilt und hierdurch visuell bereinigt werden muss. Frauen anderer ethnischer, körperlicher oder sozialer Ausprägungen wird innerhalb des Korpus jedoch kein Anteil zuteil. Sie sind nur als Spur in ihrer Abwesenheit erfahrbar. Eine solche Spur ist jedoch nicht mit einer Sichtbarmachung im politischen Sinne zu vergleichen. Indem die visuellen Artikulationen des Korpus die polizeiliche Ordnung bekräftigen und hierdurch schützen, können diese folglich auch nur anhand der polizeilichen Logik verstanden werden.

Hiermit soll keineswegs gesagt sein, dass der gesamte visuelle Diskurs der Schwangerschaft einer polizeilichen Affirmation der hegemonialen Ordnung dienen soll, politische Artikulationen sind theoretisch möglich, jedoch nicht im vorliegenden Korpus auffindbar. Sowohl die Studie von Orna Donath als auch die antagonisierenden Artikulationen des Exkurses können als Versuche gewertet werden, die Aufteilung des Sinnlichen herauszufordern, d. h., den Anteil der Anteillosen auch sichtbar und damit erfahrbar zu machen. Solche Artikulationen, verbaler Art im Falle der Arbeiten von Donath und visueller Art bei den skizzierten, exemplarischen Fotografien, zeigen, dass Schwangerschaft auch anders gedacht, anders sinnlich erfahrbar werden kann, als dies der homogene Korpus der Ratgebertitelseiten nahelegt. Sie können als kleine Risse und Brüche der sozialen Ordnung verstanden werden, die das Potential besitzen, neue Diskursstränge und Gegenprojekte zu formieren, folglich den bestehenden Schwangerschaftsdiskurs schrittweise zu unterwandern und zu verändern. Wäre das Ziel dieser Arbeit, den Schwangerschaftsdiskurs an sich zu untersuchen, so wären nicht nur die in den Ratgebern sichtbarwerdenden Regulierungspraktiken und Machtverhältnisse von Interesse, sondern gerade auch all jene Aspekte, die sich diesen Praktiken entziehen, ihnen entgegenwirken. Zu untersuchen wäre hierbei, welche Teile der sinnlichen Ordnung mit möglichen politischen Artikulationen herausgefordert werden können sowie, welche Aspekte der Ordnung scheinbar nicht in Frage gestellt werden bzw. werden können? Jedoch liegt das Interesse dieser Arbeit weniger auf dem Schwangerschaftsdiskurs an sich, als auf einer Sensibilisierung für die Besonderheiten visueller Artikulationen. Eine solche Besonderheit scheint sich bzgl. des Umgangs mit antagonisierenden Artikulationen bemerkbar zu machen.

Der Umgang mit solchen antagonisierenden Artikulationen zeigt eindrücklich, dass es beim Thema Schwangerschaft eine solche Aufteilung des Sinnlichen gibt. Ein Shitstorm lässt sich hierbei als polizeiliche Verteidigung der bestehenden Aufteilung des Sinnlichen interpretieren: Die bisher als harmonisch wahrgenommene, und durch die politischen Artikulationen gestörte Aufteilung der Sinnlichen wird hierdurch als universal und alternativlos bestätigt, die Versuche der Sichtbarmachung als pathologisch oder verwerflich delegitimiert. Auch diese antagonisierenden Artikulationen zeichnen sich hierbei durch umfangreiche Affizierungen der Entrüstung, der Wut und der Angst aus, die gleichfalls als körperlich Gelebtes nicht abgelehnt werden können. Sie bestätigen anhand eines ‚Sturms der Entrüstung‘ die polizeiliche Ordnung und den Ausschluss der Anteillosen. Eine nachhaltige Neuaufteilung des Sinnlichen wird hierdurch abgewendet. Die Anteillosen bleiben auch langfristig unsichtbar, denn ihnen wird kein legitimer Platz am Gemeinsamen eingeräumt. Als Risse der Ordnung machen solche antagonisierenden Artikulationen zwar deutlich, dass die bestehende Ordnung auch anders sein könnte. Zugleich bekräftigt ihre affizierende Wirkung vorreflexiv, dass es sich hierbei um eine natürliche und damit gute Ausschließung der Anteillosen handele, eine mögliche Neuaufteilung als etwas Bedrohliches und Verwerfliches zu bewerten sei. Konsequenterweise bedeutet dies, dass sofern politische Artikulationen negativ empfundene Affekte auslösen, die damit verbundenen körperlich gelebten Reaktionen zu einer Bestätigung der polizeilichen Ordnung führen.

Die affizierenden Möglichkeiten sind, wie weiter oben schon angedeutet, nicht einzig für visuelle Artikulationen charakteristisch. Auch verbale Artikulationen können vorartikulatorisch schützend und bestätigend gegenüber der Aufteilung des Sinnlichen wirksam sein. Es ist somit keine reine Besonderheit visueller Artikulationen, jedoch sind diese aufgrund ihrer stärker ausgeprägten Vorsprachlichkeit hierfür besonders prädestiniert. Ihre Vorsprachlichkeit reduziert die Möglichkeit einer Sichtbarmachung der Kontingenz des Sozialen. Die hier beobachtbare affizierende Wirkung führt somit zur Verunmöglichung von Politik, Drehli Robnik redet in Folge dessen von der „Politik der versuchten Abschaffung von Politik“ (vgl. Robnik 2009: 18). Sie entpolitisieren, indem sie die Aufteilung des Sinnlichen unsichtbar machen und eine Auseinandersetzung mit dieser als positiv Bewertetes, körperlich Gelebtes, das nicht abgelehnt werden kann, unwahrscheinlicher werden lassen. Die Besonderheit visueller Artikulationen liegt folglich m. E. darin, dass sie – obwohl visuelle Artikulationen theoretisch als geeignetes Instrument der Sichtbarmachung verstanden werden können – mitunter dieses Potential keinesfalls ausschöpfen. Im Gegenteil: Aufgrund der Dimension der Vorsprachlichkeit visueller Artikulationen scheinen die Möglichkeiten einer kritischen Auseinandersetzung mit der bestehenden Ordnung zusätzlich erschwert und damit gehemmt zu sein.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle ein Gedankenspiel anbieten, das einen besonderen Erkenntnisgewinn für eine diskursive Hegemonietheorie bereithalten kann. Der springende Punkt liegt hierbei darin, dass eine stärker ausgeprägte affizierende Wirkung von (visuellen) Artikulationen eine polizeiliche Logik begünstigen, d. h. eine artikulatorische Reproduktion der Aufteilung des Sinnlichen Vorschub leisten und hierdurch – so die Hypothese – nicht nur polizeilich, sondern als prä-Kognitives, körperlich Gelebtes sogar entpolitisierend wirken können: sie zeichnen sich nicht nur durch die Abwesenheit von Reflexion, sondern durch eine Verunmöglichung dessen aus. Sind Artikulationen weitestgehend positiv affizierbar, so sind die Möglichkeiten eines artikulierbaren Dissens stark eingeschränkt. Werden jedoch weitestgehend negative Affekte durch visuelle Artikulationen erfahrbar, so führen diese zu einem Sturm der Entrüstung, also einer Welle an Artikulationen der polizeilichen Verteidigung der bestehenden Ordnung. Die bestehende Aufteilung des Sinnlichen wird hierdurch in beiden Fällen bestärkt und stabilisiert. Stark affizierende Artikulationen können folglich als hegemoniales Instrument der Entpolitisierung begriffen werden. Der besondere Erkenntnisgewinn für eine diskursive Hegemonietheorie liege sodann in der Vergegenwärtigung, dass Entpolitisierung primär affektiv geschieht und nicht sprachlich, wodurch sich Hegemonien maßgeblich durch prä-kognitiv affizierte Affirmationen stabilisieren. Einer affekttheoretischen Dimension gelingt es folglich, einen Aspekt des Artikulationsprozesses zu erfassen, der entscheidend dazu beiträgt, die (hegemoniale) soziale Ordnung zu stabilisieren und zu universalisieren. Da Affekte keineswegs vor-sozial, sondern stets diskursiv geformt sind, sind sie folglich auch Teil des hegemonialen Diskurses. Theoretisch löst also das, was hegemonial und folglich als ‚normal‘ oder als ‚gute Ordnung‘ anerkannt ist, harmonisierende und widerspruchsfreie Affekte aus. Anderes, dem Hegemonialen Zuwiderlaufendes, kann jedoch durchaus Wut, Empörung und starke Widersprüche auslösen. Hegemoniale Diskurse werden deshalb maßgeblich daran beteiligt sein Affektregime zu etablieren, die zu einer positiven Affizierung der sozialen Ordnung führen und dementsprechend gegenüber Hegemonien schützend wirken. Nicht nur die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit, sondern vor allem auch die diskursive Konstruktion von Affektregimen sollten demnach den Gegenstand hegemonietheoretischer Untersuchungen darstellen.


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