Grenzen und Ergänzungen:
affektive Dimension
Die affektive Dimension des Diskursiven
Die Vorsprachlichkeit von Bildern
Es fallen somit zwei gegensätzliche Tendenzen im Umgang mit visuellen Artikulationen auf, einerseits scheint Dissens verhältnismäßig stark reduziert zu werden, während andererseits manche visuellen Artikulationen geradezu einen Shitstorm, eine Welle der Entrüstung, auslösen können. Die weiter oben skizzierten Überlegungen bezüglich des dokumentarischen Charakters von Fotografien und der daraus resultierenden Kontingenzverleugnung ermöglichen die Konflikthaftigkeiten nur einseitig und nur für Fotografien zu erfassen. An dieser Stelle möchte ich hingegen die Hypothese anbringen, dass die ungleiche Verteilung der Konfliktfähigkeit auf der Nonverbalität visueller Artikulationen, bzw. ihrer Vorsprachlichkeit gründet. Offenbar ist bei Bildern eine Wirkung besonders erfahrbar, die in der „Mehr-Als der Ausdrückbarkeit der Sprache“ (Manning 2010: 9) liegt. Es scheint, dass eine (visuelle) Diskurstheorie im Sinne von Laclau und Mouffe nicht ohne eine stärker ausgearbeitete vorsprachliche und damit affektive Komponente auskommen kann.
Bei einer affektiven Perspektive handelt es sich jedoch nicht schlicht um einen Rekurs auf ein Subjekt der Emotionen. Mithilfe der Affizierung kann der Fokus stattdessen auf die Dimension körperlicher Reaktionen gelegt werden, die den Emotionen selbst noch vorläufig sind. Diese körperlichen Reaktionen „are in-excess of conscious states of perception and point instead to a ‚visceral perception’ preceding perception” (Clough 2008: 3; vgl. Massumi 2002), also einer Art prä-kognitiven Wahrnehmung. Es handelt sich also um nur kurzfristige sinnliche Eindrücke. Gefühle und Emotionen hingegen werden als ‚erkannte‘ Gefühlszustände verstanden, d. h. als „sozial modulierter Ausdruck von Affekten“ (Penz/Sauer 2016: 41). Während Emotionen bewusst wahrgenommen und zu Narrationen geformt werden können, zeichnen sich Affekte durch eine „prä-signifikative Intensität“ (Stäheli 2007: 132) aus, also durch einen Überschuss, der erst retrospektiv in eine lineare und kausale Narration überführt werden könne. Affekte müssen also unabhängig von bewusster Wahrnehmung, von Sprache, als auch von Emotionen gefasst werden (vgl. Clough 2008: 3).
Affekte sind körperlich, folgen jedoch „nicht allein einer neuronalen Logik“ (Penz/Sauer 2016: 50). Stattdessen sind sie untrennbar mit sozialer Bedeutung verknüpft, Denn auch Körperlichkeit ist immer sozial geformt. Somit sind Affekte nicht ausschließlich körperlich, sie „existieren nie außerhalb von Diskursen und nie außerhalb sozialer Beziehungen“ (ebd.: 51) haben jedoch einen außergewöhnlichen und vielleicht sogar nachhaltigeren Erfahrungswert als Ideen und Gedanken (vgl. ebd.: 51f.). Sie sind deshalb immer auch diskursiv, weshalb „Affekte als verkörperte Diskurse“ (ebd.: 50) zu verstehen sind. Diese Dimension der Materialität des Körpers werde affekttheoretischen Ansätzen zufolge in diskursorientierten Theorien jedoch zumeist vernachlässigt (vgl. ebd.: 37).
Affizierung impliziere stets eine „Wertung über die Welt, das Außen und über andere Menschen“ (ebd.: 52), die zu handlungsleitenden Wissens- und Glaubenssysteme führen. Eine solche Perspektive erlaube es deshalb, „Herrschaftsverhältnisse, die durch Affekte konstruiert und reproduziert werden“ (ebd.: 54), kritisch zu betrachten. Denn „Affekte sind aufgrund ihrer Fähigkeit zu affizieren, also Sozialität herzustellen und in Sozialität eingebunden zu sein, auch immer Teil einer Herrschaftsstruktur“ (ebd.) und tragen hierdurch „zur Reproduktion von Machtverhältnissen“ (ebd.) bei. In einem historisch-kontingenten Prozess sedimentiert sich ein gesellschaftlich-kulturelles Wissen um Affekte, sie werden zu Affektregimen und -dispositiven (vgl. ebd.: 53). Auch wenn es sich bei Affekten vermeintlich nur um kurzfristige sinnlich Eindrücke handelt, strukturieren Affekte „Handlungen und Handlungsfähigkeit, sie sind aber auch zugleich strukturiert durch Wissen und Erfahrung“ (ebd.: 54). Im Laufe einer ‚affektiven Sozialisation‘ erlernen Individuen ein sogenanntes „Affektvokabular“ (vgl. ebd.: 53), das „Voraussetzung für die Herstellung, sprich: das individuelle Verstehen, Erleben und Fühlen von Affekten“ (ebd.: 52) sei.
Ausgelebte Affekte hinterlassen „eine Spur – eine Erinnerung wird geschaffen“ (Massumi 2010: 70). Unter anderem spricht man sogar davon, dass eine Akkumulation von Affekten zu einem „Körpergedächtnis“ (ebd.: 54; vgl. Watkins 2010: 273ff.) führe und die „Einprägung einer affektiven Reaktion auf Zeichen der Gefahr“ reaktiviert und wiederholt werden können. Sie können folglich auch durch Stimuli trainiert werden. Die als quasikausal wahrgenommene Macht von Affekten wird hierdurch intensiviert, sodass schließlich die Antizipation von Ereignissen ausreiche, um spezifische Erscheinungen und jeweilige Affekte hervorzurufen (vgl. Massumi 2010: 118f.; 120; 126). Ein solches, affektives Training kann demnach auch zum Gegenstand einer sogenannten Affektpolitik gemacht werden, wie dies von Massumi bezüglich der Terrorwarnskala in den USA beobachtet wird (vgl. ebd.: 105-129). So wird beispielsweise „anhand politisch produzierter Gefühle wie Angst vor den Anderen deutlich, wie Machtverhältnisse Körper formen und beeinflussen“ (Penz/Sauer 2016: 54). Als Instrument der Affektpolitik eignen sich Fotografien, wie kein anderes Medium: Sie besitzen die Eigenschaft, unsere Wahrnehmung zu strukturieren und unser Selbst- und Weltbild zu beeinflussen, ohne dass wir uns währenddessen über deren Wirkung bewusst wären (vgl. Paul 2009: 26ff.; 32ff.).
Affekte an sich sind „im Gegensatz zu Emotionen nicht narrativierbar und jenseits des Signifikationsgeschehens anzuordnen“ (Stäheli 2007: 132). Deshalb lassen sie sich auch nicht ohne Weiteres auf die oben skizzierte diskursive Logik der Artikulation reduzieren (vgl. ebd.). Sie existieren stattdessen in Form einer körperlichen Aktivierung, die die Handlungsfähigkeit des Körpers vergrößere oder verkleinere. „Affekte hindern manche Menschen daran zu handeln, während anderen dies durch Affekte ermöglicht wird“ (Penz/Sauer 2016: 47). Affekte können nur durch den Körper gelebt werden und als körperlich Gelebtes nicht abgelehnt werden (vgl. Massumi 2010: 117). Dabei trifft beispielsweise Angst – neben anderen Affekten – „den Körper und zwingt ihn zur Aktion, bevor dieser es überhaupt bewusst registriert hat“ (ebd.: 113). Angst als Affekt ist demnach „unwiderstehlich“ (ebd.: 117). Jedoch ist die Angst nicht der Inhalt einer Erfahrung, denn erst nach der Ausführung des Affekts, d. h. retrospektiv, kann die Situation wahrgenommen, in seine Einzelteile zerlegt und die Angst anhand eines „Mapping-Prozess als objektives Umfeld herausgearbeitet werden“ (ebd.: 115). Der Affekt wird hierdurch erst retrospektiv zum Angstgefühl. Massumi schließt deshalb Folgendes: „Wir rennen nicht, weil wir Angst haben, wir haben Angst, weil wir rennen“ (ebd.: 113).
Der Affekt darf nicht rein als ein zeitliches Vorher einer Artikulation verstanden werden, sondern muss als eine Dimension vor der kognitiven Wahrnehmung betrachtet werden, die eng verschmolzen mit der artikulatorischen Praxis ist. Massumi spricht deshalb von einer Vorartikulation (vgl. Manning 2010: 9). Dass beim vorliegenden Korpus eine Artikulation von Dissens erst nach einer Versprachlichung möglich ist, gegenüber der visuellen Artikulation an sich bedeutend schwerer zu artikulieren scheint, wird durch eine solche affektive Perspektive nachvollziehbarer. Gibt es nicht genügend Anlass zur Reflektion der affizierenden Wirkung einer visuellen Artikulation, so kann sie auch nicht retrospektiv als unangemessen verhandelt werden. Lösen visuelle Artikulationen demnach Affekte aus, so können diese als körperliches Gelebtes nicht abgelehnt werden, da sie vorartikulatorisch sind. Für den Korpus ließe sich demnach schließen, dass die affizierende Wirkung der Artikulationen Menschen daran hindert zu handeln, die ergänzend hinzugezogenen ungewöhnlicheren, empörenden und kontrovers verhandelten Artikulationen scheinen hingegen ebenfalls unwiderstehliche Affekte zu erzeugen, die jedoch stattdessen zu einer artikulatorischen Reaktion auf das Erlebte bewegen, d. h. Handlungen ermöglichen. Gleichwohl ist zu betonen, dass auch sprachliche Artikulationen eine affizierende Wirkung besitzen, jedoch scheint durch die Materialität der Sprachlichkeit die Dimension der Vorartikulation vergleichsweise von nachgeordneter Bedeutung zu sein. Erst die sprachliche Übertragung der visuellen Signifikationen ermöglicht, so auch im Falle der Ratgebertitelseiten, eine reflektierende Auseinandersetzung mit dem Visualisierten, wodurch diese sich einer artikulatorischen Auseinandersetzung tendenziell leichter anbieten und Handlungsfähigkeiten zurückerlangt werden kann.
Auch das Bild einer Schwangerschaft ruft eine Vielzahl positiv besetzter Affekte hervor, die keineswegs als vorsozial gewertet werden. Noch vor der kognitiven und sprachlichen Entwickelung treten im ersten Lebensjahr sieben sogenannte Primäraffekte (Freude, Verzweiflung, Wut, Furcht, Ekel, Überraschung, Interesse) auf (vgl. Spektrum.de). Die Spur der affektiven Erinnerung geht somit bis in die ersten Erfahrungen eines Menschen zurück, die zumeist von einer starken Mutter-Kind-Bindung und einem Sicherheitsgefühl der unmittelbaren Kleinfamilie geprägt ist. Zudem lassen sich kulturspezifische Affektregime bezüglich Schwangerschaft ausmachen, die soziale und kontingente Konstruktion der Mutterliebe lässt sich eindrücklich bei Elisabeth Badinter (1981) nachvollziehen. Es ist also nicht sonderlich verwunderlich, dass Bilder Schwangerer Erinnerungen und Affekte entsprechend dieser Spur evozieren. Die bürgerliche Kleinfamilie als besonderer Schutzraum, der gesellschaftliche Perspektivwechsel vom ‚lästigen‘ zum ‚unersetzlichen Kind‘ sowie die Wertschätzung von werdendem Leben und der Mutterliebe als (neuer) Wert der Gesellschaft können hierdurch neben Anderem prä-kognitiv affiziert werden.
Die Vorsprachlichkeit von visuellen Artikulationen und die damit einhergehende affizierende Wirkung scheint somit das Ausbleiben von Dissens und Kontroversen im Falle der Ratgebertitelseiten nachvollziehbar zu machen. Erst die Übersetzung einer visuellen Artikulation zu einer sprachlichen Artikulation begünstige eine Reflexion des Artikulierten und gewährleiste dessen Verhandelbarkeit. Es zeigt sich, dass eine visuelle Diskurstheorie nicht ohne eine Dimension des Affektiven auskommen kann. Sie muss deshalb Gegenstand zukünftiger methodischer, methodologischer und theoretischer Überlegungen sein. Arbeitet man bei der Diskurstheorie von Laclau und Mouffe die Bedeutung des Affekts weiter heraus, so eröffnen sich Potentiale beispielsweise bezüglich einer verständlicheren Klärung der Frage, warum nicht jeder Signifikant gleichfalls als Repräsentant des diskursiven Zentrums geeignet ist, sondern sich schließlich nur bestimmte Typen der Signifikation hierfür anbieten? Bezeichnet man im Zuge dessen den stabilisierenden Knotenpunkt eines Diskurses als ‚Objekt der Begierde‘, so bieten sich hierdurch weitere Möglichkeiten, verstärkt die affizierende Komponente eines entleerten Signifikanten in den Blick zu nehmen.
Das radical investment in ein Objekt der Begierde
Die prinzipielle Kontingenz des Signifikationssystems lässt wenig Spielraum für eine Erklärung, warum nur ein bestimmter Signifikant die Rolle des leeren bzw. in seiner Tendenz entleerten Signifikanten übernehmen kann. Theoretisch kann diese Funktion von jedem Signifikanten übernommen werden, solange es diesem gelinge zu einer umfassenden Forderung zu werden, d. h. in Kontrarietät zu jeglichem Element des Mangels zu treten: „Kein Element ist durch seine konkrete Bedeutung prädestiniert, diese Repräsentationsfunktion für das Gesamtsystem zu übernehmen, sondern jedes Element kann sie übernehmen, sofern es von seinen konkreten Inhalten entleert wird“ (Marchart 2013: 325; vgl. Nonhoff 2008: 314; ebd. 2007: 187). Jedoch fällt eine diskursive Stabilisierung des einmal eingesetzten leeren Signifikanten auf, denn dieser kann nicht beliebig ausgetauscht werden.
Eine affekttheoretische Perspektive zeigt jedoch, dass „die ‚Wahl‘ eines leeren Signifikanten – oder besser: die ihn konstituierende Wahl – […] ein ‚radical investment‘ in gerade diesen Signifikanten“ (Stäheli 2007: 133) erfordere. Die Grundlage eines solchen stabilisierend wirkenden radical investment seien Affekte unterschiedlicher Art – Freude, Furcht und Ekel sind nur Beispiele dessen [38]. Die Repräsentation der Einheit aller Forderungen zur Überwindung des vom Ausgeschlossenen implizierten Mangels ist somit nicht die einzige Bedingung, die ein möglicher Repräsentant zu erfüllen hat, er muss zudem außerordentlich affizierend wirken. Die vorartikulatorische Wirksamkeit eines stark affizierenden Signifikanten ermöglicht zudem eine plausible Erklärung für den Anschein seiner Universalität. Da ein Solcher eine ausgiebige, retrospektive Reflektion verhindert oder zumindest einschränkt, werden damit auch die Möglichkeiten der Kontingenzerfahrung und der Gegen-Artikulation erschwert. Der Affekt verharrt in der Dimension der Vorartikulation, wodurch eine kognitive und artikulatorische Distanzierung ausbleibt, der Schein der Universalität jedoch bestehen bleibt.
Ein solcher, affizierender Signifikant kann am besten entsprechend der Logik eines objet petit a verstanden werden, d. h. „als Objektursache des Begehrens, deren Anwesenheit sich gerade aufgrund ihrer Abwesenheit spürbar macht“ und damit zu einem prinzipiell unerreichbaren „Objekt der Begierde“ (Marchart 2013: 320) werde.
„Wäre das objet petit a tatsächlich erreichbar, so käme der Begehrensprozess zum Stillstand. Was erreichbar ist, ist immer nur ein bestimmtes Objekt, das vorübergehend die Qualität des objet petit a zu verkörpern scheint, diese Qualität aber verliert, sobald es erreicht wurde“ (ebd.).
Gesellschaft ist unmöglich, da die Totalität des Sozialen, die Schließung zu einem kohärenten Signifikationssystems scheitert. Das Soziale existiert nur in seiner Abgrenzung zu einer radikalen Negativität des Ausgeschlossenen. „Aber da diese Totalität auf Grenzen angewiesen ist, von denen sie zugleich subvertiert wird, kann es sich immer nur um eine partielle Totalität handeln“ (ebd.). Gesellschaft ist folglich paradox, denn „[i]n ihrer Fülle ist sie abwesend, dennoch bleibt diese Fülle im Streben nach sozialer Vereinheitlichung vorausgesetzt – und ergo anwesend“ (ebd.). Hierdurch ist Gesellschaft ein solches objet petit a, das unerreichbar ist, jedoch vorübergehend durch ein Objekt der Begierde verkörpert wird. Nur durch seine Unerfülltheit kann somit ein leerer Signifikant eine affektive Sogwirkung entfalten und hierdurch die Abwesenheit von Gesellschaft als Objektursache des Begehrens diskursiv anwesend machen. Ein radical investment in einen Signifikanten zeigt somit das Ausmaß seines Begehrens und damit die Tragweite seiner das Soziale stabilisierenden Wirkung. Bietet sich ein spezifischer Signifikant einer affizierenden Wirkung im Ausmaß eines radical investment an, so könne dies die Überlegenheit dieses Signifikanten über andere ebenso mögliche erklären, das Begehren an sich zu repräsentieren und damit eine mythische Fülle zu verkörpern (vgl. Stäheli 2007: 133). Versteht man Affekte als verkörperte Diskurse, so ist natürlich auch ein radical investment nicht als vordiskursive Entität zu verstehen und folglich auch durch vorhergehende Artikulationen und routinierte Bedeutungskonstruktionen geprägt. Jedoch ermöglicht ein Fokus auf ein radical investment die körperlich gelebte Dimension des Diskursiven auch bezüglich eines entleerten Signifikanten miteinzubeziehen und die Illusion seiner Universalität und seines unangefochtenen Status vielschichtiger zu betrachten. Im Umkehrschluss lässt sich folglich schließen, dass ein Signifikant, der sich keiner solchen außerordentlichen Affizierung anbietet, nur begrenzte Potentiale für die Repräsentation des Begehrens aufweisen kann [39]. Aufgrund der besonders ausgeprägten vorartikulatorischen Wirksamkeit visueller Artikulationen ist dementsprechend bei solchen das Potential einer affizierenden Wirkung erhöht, die Wahrscheinlichkeit eines radical investment somit ausgeprägter als bei verbalen Artikulationen. Visualitäten bieten sich somit der vorübergehenden Verkörperung eines Objekts der Begierde vermeintlich stärker an als dies sprachlichen Signifikanten vermögen. Als vorartikulatorisch wirksames Objekt der Begierde bleibt dieses jedoch tendenziell unreflektiert, wird unverändert reproduziert und hierdurch in seiner Wirkmacht bekräftigt.
Wie schon weiter oben
illustriert, begünstigen die kulturspezifischen Affektregime bezüglich der
Mutterliebe, der bürgerlichen Kleinfamilie als Schutzraum sowie die
Wertschätzung des Ungeborenen als unersetzlich etc. eine positive Affizierung
und ermöglichen hierdurch die sehr spezifischen, visuellen Artikulationen von
Schwangerschaft als universal und alternativlos zu suggerieren. Wäre jedoch
diese Wertschätzung des werdenden Lebens und der Mutterliebe an sich der
einzige Gegenstand der hierbei wirksamen Affektregime, so müssten die
Darstellungen der Schwangeren so divers sein, wie es die statistische
Verteilung der Reproduktionsraten nahelegt, also auch sozial schwächer
gestellte Schwangere, Übergewichtige sowie jüngere oder ältere Schwangere mit
oder ohne Migrationshintergrund im Korpus auftreten. Währenddessen zeichnet
sich das Korpus durch eine auffallend große Homogenität aus. Scheinbar gelingt
es folglich nur einem bestimmten Typus von Schwangerschaft, ein radical investment zu evozieren, eben
lediglich die Darstellung von weißen, sportlich-schlanken Frauen im Alter von
Ende zwanzig und Anfang dreißig mit solidem sozialen und ökonomischen Status.
Den Darstellungen von Frauen anderer Hautfarbe oder sozialer Hintergründe sowie
anderer körperlicher Fitness etc. ist somit kein mit einem radical investment
vergleichbar großes Ausmaß an positiver Affizierung möglich. Etwas Weiteres
fällt jedoch auf: Selbst, wenn anderen Darstellungen von Schwangerschaft die
Repräsentation der umfassenden Forderung als Zentrum des Diskurses nicht
gelingen mag, so sind überraschenderweise andere, nur eingeschränkt positiv
affizierbare Darstellungen, nicht vergleichsweise seltener vorhanden, sondern
überhaupt nicht existent, sie bleiben unsichtbar. Indem also die vorliegenden
Artikulationen ausschließlich affektiv positiv aufgeladen und generalisiert
werden, scheinen sie einer Invisibilisierung anderer, prinzipiell ebenso
möglicher Darstellungen von Schwangerschaft zu dienen. Diese tauchen im Korpus
nicht auf, während die positiv gewertete Seite der Schwangerschaft als das
universale Bild von Schwangerschaft überbetont wird. Die Dimension der
Affizierung ermöglicht zwar den ausbleibenden Widerspruch zu plausibilisieren.
Ein Affektregime, das die Wertschätzung von werdendem Leben und der Mutterliebe
nahelegt, reicht jedoch als Begründung für die Homogenität der dargestellten
Schwangeren nicht aus. p>
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[38] Die Ausführungen Massumis beruhen vor allem auf negativen Affizierungen, v. a. auf Angst, aber auch auf Verzweiflung, Wut oder Ekel. Entsprechend der obigen Ausführungen ist auch ein radical investment aufgrund positiver Affekte, d. h. aus Freude, Interesse oder Überraschung, denkbar; für die Bildung eines als durchweg positiv wahrgenommenen Knotenpunkts wahrscheinlich sogar notwendig.
[39] Eine Sogwirkung bezüglich des Objekts der Begierde wird affekttheoretisch nachvollziehbar, jedoch bleibt die damit einhergehende Verwerfung des radikal Anderen unklar: Die Suggestion des Erstrebenswerten und Alternativlosem ist bei Lalcau und Mouffe paradoxerweise auf etwas angewiesen, gegen das sie ankämpft und hierdurch ihre Kontingenz entlarvt. Plausibel erscheint demnach, dass die grundsätzliche Kontingenz des Sozialen auch den Verlust des Objekts der Begierde beinhalten kann, wenn dieses als kontingent entlarvt wird. Einleuchtend ist ebenso, dass ein antizipierter Verlust des positiv affizierten Zentrums, die Bedrohung der rechten Ordnung, Angst und Furcht auslösen kann und, dass Signifikanten dieser Bedrohung demnach mit Wut und/oder Furcht affiziert werden können. Vernichtungsphantasien bezüglich anderer Subjekte und anderer Ordnungen sind auf diese Weise nachvollziehbar. Diese Subjekte und Ordnungen sind jedoch innerhalb des relationalen Signifikationssystems zu verorten, denn sie lassen sich bezeichnen. Wie jedoch etwas jenseits des relationalen Signifikationssystems, das Undenkbare, welches sich diskursiv nicht bezeichnen lässt, Affekte auslösen kann – ausgenommen der Verlustängste bezüglich des Objekts der Begierde – ist auf diesem Stand der Arbeit nicht ersichtlich, die Grenzbildung affekttheoretisch auf diese Weise nicht problemlos erfassbar.