Explorative Analyse

Die Wahl des Diskurses und des Datenmaterials

Warum eignet sich der Diskurs der Schwangerschaft für die folgenden Überlegungen?

Mit den oben getätigten Ausführungen wurde die Wirkungsweise von hegemonialen Artikulationen und die Stabilisierung von Diskursen und von Sozialität gezeigt. Hegemoniale Diskurse versuchen einen kontingenten Zusammenhang als universal und alternativlos zu konstruieren. Hierfür nutzen sie diskursive Strategien der Äquivalenzierung und der Differenzierung. Diese Äquivalenzierungen und Differenzierungen führen zu einer Entleerung des Zentrums des Diskurses, im extremen Fall zu einem völlig entleerten Signifikanten, der dann nichts Anderes mehr bezeichnet, als den Diskurs als solches.

Zur Untersuchung dieser Mechanismen der Äquivalenzierung und der Differenzierung, der Bildung von entleerten, das Soziale stabilisierenden Signifikanten, ist es hilfreich, einen vermeintlich [11] hegemonialen Diskurs zu betrachten und dabei darauf zu achten, wodurch visuelle Artikulationen stabilisierend wirken und welche Techniken zur Beobachtung sich hierfür anbieten. Der Diskurs um die weibliche Schwangerschaft ist ein visueller Diskurs, der sich aus mehreren Gründen für eine solche Untersuchung eignet. Ein kurzer Überblick über den aktuellen Stand sozialwissenschaftlicher Betrachtungen der Schwangerschaft dient dazu, Aspekte der Hegemonie des Projekts Schwangerschaft aufzeigen. Die Eignung eines konkreten Korpus aus Titelbildern der Ratgeberliteratur wird im Anschluss daran dargelegt.

Zentrale Ergebnisse bisheriger Studien heben hervor, dass naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle zur Fortpflanzung dazu dienen, geschlechtsspezifische Rollen und die geschlechtsspezifische Aufteilung der (Re-)Produktionsaufgaben zu naturalisieren (vgl. Bauer 2010: 46; Schlicht 2016: 112ff.; Badinter 2010: 75; Hirschauer et al. 2014: 254). Außerdem wird von Schwangerschaft als ‚ansteckendem Zustand‘ gesprochen, der durch unterschiedliche kommunikative Strategien und Narrationen – wie der biologischen Uhr, des Mutterinstinkts und Ängsten der Vereinsamung im Alter – die Entscheidung zur Mutterschaft begünstigt werde (vgl. Hirschauer et al. 2014: 253, 264; Donath 2014: 347). Die Entscheidung zu einer Schwangerschaft sei demzufolge keine individuelle Lebensplanung, stattdessen werden durch Regulierungen weiblicher Fruchtbarkeit gesamtgesellschaftliche Interessen verhandelt [12]. Vor allem in den letzten Jahren ist jedoch durch eine Studie der israelischen Soziologin Donath (vgl. Donath 2016; Donath 2014; Donat 2015) eine Debatte entbrannt, die darauf hindeutet, dass es sich beim Thema Schwangerschaft um hegemoniale Projekte, wenn nicht sogar (einen) hegemonial(e) Diskurs(e) handeln könnte. Diese Studie untersuchte anhand von 23 qualitativen Interviews das Phänomen, dass Mütter unterschiedlicher demographischer Charakteristiken [13] ihre Mutterschaft bereuen. Zu betonen ist, dass diese Reue sich nicht dahingehend äußerte, dass die interviewten Frauen die Existenz ihrer Kinder an sich bereuten, oder diese nicht lieben würden. Stattdessen bezog sich das Reuegefühl lediglich auf die Rolle und Funktion als Mutter, die mit der Mutterschaft einherging (vgl. Donath 2014: 355). Die Erfahrungen und Probleme, die diese Frauen aufgrund des Reuegefühls erlebt hatten, die Selbstvorwürfe und sozialen Konsequenzen, die hiermit einhergingen, sind Gegenstand der Interviews gewesen.

Während bisherige sozialwissenschaftliche Studien zur Schwangerschaft und Mutterschaft meist nur eine begrenzte öffentliche und populärkulturelle Resonanz erzeugten, wurde die Veröffentlichung dieser Studie von einer hitzigen Debatte in allen gängigen sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #regrettingmotherhood begleitet [14]. Hierbei wurden die bereuenden Mütter als Egoistinnen, als Rabenmütter, als gefühlslose Monster und dergleichen mehr bezeichnet, pathologisiert und als wider die Natur abgestempelt (vgl. Wende 2015; Oesterreich 2015; Reents 2016). Die Kinder solcher Mütter wurden hingegen bemitleidet und das harte Schicksal und die zu erwartenden psychischen Störungen eines Menschen, der vermeintlich durch eine bereuende Mutter nicht ausreichend Liebe erfährt, in höchster Priorität bemängelt (vgl. Wende 2015; Bird 2016). Empathische Haltungen bezüglich der bereuenden Mütter waren zwar vorhanden, wurden jedoch zumeist stark relativiert, auf kurzzeitige ambivalente Gefühlszustände beschränkt oder auf die Doppelbelastung und Kostenfaktoren von Karriere vs. Kind geschoben, jedoch selten der Leidensdruck einer Reue an sich bestätigt (vgl. Nimue 2016; Reentz 2016, Donath/Halser 2016). Währenddessen löste die Debatte, eine Vielzahl an Artikulationen aus, mithilfe derer Mütter ihr erfahrenes Mutterglück beteuerten und die einzigartige Freude und Erfüllung, die sie durch ihre Kinder bekommen, betonten und idealisierten. Es meldeten sich auch Stimmen zu Wort, welche massive soziale Implikationen befürchteten und die Zukunft der Gesellschaft in Frage stellten, wenn Frauen auf einmal en masse entscheiden sollten, keine Kinder mehr bekommen zu wollen (vgl. Balzer 2015).

Die Studie erzeugte somit eine bemerkenswerte Resonanz, welche sich vor allem in Aversionen gegenüber bereuenden Müttern äußerte. Eine solche Artikulation der Reue scheint demnach bisher nicht im Bereich des Sagbaren, und damit innerhalb der legitimen Sphäre des Diskurses verortbar gewesen zu sein. Die Möglichkeit des Bereuens von Mutterschaft beinhaltet die Gefahr, den als universal und als alternativlos geltenden Mutterinstinkt und das Mutterglück als kontingent und sozial konstruiert zu entlarven, und gefährdet hierdurch die Stabilität des Diskurses und die soziale Ordnung. Pathologisierungen sind hierbei nur eine diskursive Möglichkeit um die Einheit, Universalität und Alternativlosigkeit gegenüber etwas verworfenem Anderen zu erzeugen und zu stabilisieren. Zwar zeigen solche diskursiven Ereignisse, dass es auch anders sein könnte, sie jedoch nicht im Bereich des Normalen liegen und damit keine legitime Alternative darstellen. Hierdurch kann die Erfahrung der Kontingenz reduziert werden und damit die Sprengkraft solcher diskursiven Positionen für die soziale Ordnung entschärft werden. Dies führt zu erhöhtem Artikulationsaufkommen, die der Universalität und Alternativlosigkeit des stabilisierenden Knotenpunktes dienlich sind und andere diskursive Positionen delegitimieren.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass es bei Schwangerschaft und Mutterschaft um diskursiv konstruierte Natürlichkeiten geht, die, so zeigte die Debatte um das Hashtag #regrettingmotherhood, stark umkämpft sind. Hierbei werden sowohl hegemoniale als auch gegen-hegemoniale Aspekte des Diskurses sichtbar. Ausgehend von dieser hitzigen Debatte um das Hashtag #regrettingmotherhood, als Indiz für die Hegemonialität eines Diskurses, wurde der Diskurs der Schwangerschaft ausgewählt, um die Wirkungsweise von hegemonialisierenden, d. h. von stabilisierenden und universalisierenden Artikulationen zu untersuchen. Dieser Diskurs zeichnet sich zudem durch eine hohe visuelle Sichtbarkeit aus. Nicht nur, dass der Frauenkörper sich rein optisch verändert, das Ungeborene sich durch die Wölbung des Bauches, den zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest, das Ultraschallgerät u. d. m., schon vor der Geburt sichtbar machen kann, es ist auch ein Diskurs, der mithilfe von unterschiedlichen Bildern diskursiv existiert und artikuliert wird. Die Auswahl der konkreten Artefakte wird mit Hilfe des folgenden Abschnitts illustriert.

Warum eignen sich Ratgebertitelseiten für eine explorative Analyse?

Während Diskurse, die durch spezifische Ereignisse ausgelöst, oder refokussiert werden – wie dies exemplarisch bei Terroranschlägen beobachtbar ist – die eine Welle an Artikulationen zur Abgrenzung von dem bedrohlichen Außen sowie dem zu schützenden Innen, der Demokratie, der Freiheit und der Rechtstaatlichkeit zur Folge haben, entzieht sich der Diskurs der Schwangerschaft dieser starken, öffentlichen und medialen Resonanz. Er ist nicht so sehr an spezifische Ereignisse gekoppelt, stellt vielmehr eine dauerhafte aber diffus bleibende Konstanz an Artikulationen dar. Eine klar abgesteckte Arena der Artikulationen, wie dies bei anderen politischen Diskursen in den Print- und Onlinemedien als auch in parlamentarischen Debatten zum Teil gegeben ist, lässt sich hierbei ebenfalls nicht vergleichbar intuitiv auffinden. Obwohl Schwangerschaft in vielen alltäglichen Situationen [15] verhandelt wird, in Situationen, in denen keine visuellen Artefakte der Artikulationen produziert werden, lassen sich solche Visualitäten durchaus in anderen medial vermittelten Bereichen auffinden.

Das Segment der Ratgeberliteratur stellt eine solche Arena dar, in der Schwangerschaft verhandelt und umkämpft wird. Es lässt sich im Bereich der Schwangerschaft sogar ein „(Über-)Angebot an Wissen“ (Schadler 2013: 76) beobachten, da diese „wegen seiner Risiken für das Ungeborene ständiger medizinischer Kontrolle bedarf“ (Hirschauer et al. 2014: 10). Hierdurch entstehe schon weit „vor, während und nach der Schwangerschaft“ (Schadler 2013: 76) die Pflicht, an den Informationspraktiken teilzuhaben, die u. a. durch das Genre der Ratgeberliteratur strukturiert werde. Mit über 2000 aktuellen Publikationen stellt das Schwangerschaftssegment eines der stärksten Segmente auf dem deutschen Buchmarkt dar (vgl. Hirschauer et al. 2014: 9). Schwangerschaftsratgeber scheinen deshalb ein zentrales Moment der Konstruktion von Schwangerschaft und Mutterschaft zu sein. Während in Schwangerschaftsratgebern wahrscheinlich Risikomanagement, Verantwortung und Handlungsbedarf verhandelt werden (vgl. ebd.: 10f.), so ist zu erwarten, dass auf den Covern von Schwangerschaftsratgebern dieses Risiko ausgeblendet und lediglich ein Idealzustand verbildlicht wird. Schließlich soll eine Schwangerschaft nicht zu einem unvorstellbaren Projekt werden.

Die Marktlogik des Buchmarktes erfordert eine starke visuelle Komponente, da diese kaufentscheidend wirkt. Ein solch großes Marktsegment impliziert eine starke Konkurrenz um Marktanteile, weshalb Bücher mit einprägsamen und attraktiven Titelseiten bessere Absatzchancen besitzen. Zugleich muss unmissverständlich der Gegenstand des Buches transportiert und ein hohes Identifikationspotential mit der potentiellen Leserschaft erzeugt, als auch ein hohes Maß an (Beratungs-)Kompetenz suggeriert werden. D. h., vermeintlich versuchen solche Titelseiten, das ideale Bild einer komplikationsfreien Schwangerschaft zu repräsentieren, da dieses sowohl das größte Identifikationspotential als auch die höchste Suggestion der Beratungskompetenz beinhaltet. Die Artikulation mit dem größten Identifikationspotential lässt sich auch als eine hegemoniale Artikulation begreifen. Sie scheint genau das Bild von Schwangerschaft zu verkörpern, das mittels diskursiver Konstruktionen als universal und natürlich und damit auch erstrebenswert suggeriert wird. Die große Marktkonkurrenz verknappt jedoch auch das Gut der Aufmerksamkeit. Während also eine leicht eingängige, positiv konnotierte und unmissverständliche Gestaltung ein wichtiges Kriterium darstellt, so ist die Kombination mit Unerwartetem bis hin zu Irritierendem eine Taktik, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wenn Schwangerschaft visuell gesehen einen hegemonialen Diskurs darstellt, so lässt sich diese Konstruktion von Universalität und Alternativlosigkeit, dieses gesellschaftlich weitreichende Identifikationspotential der idealen Ordnung anhand von Ratgebertitelseiten sehr gut einfangen. Gleichzeitig ist dennoch eine relativ große Variation der Darstellungsweisen der Schwangerschaft aufgrund der Marktlogik zu erwarten. Dieses Datenkorpus repräsentiert folglich eine Sammlung an hochprofessionellen, den gängigen fotografischen Konventionen folgenden Bilder, die zusätzlich durch das Nadelöhr der Marktlogik gefiltert wurden. Ein solches Korpus ermöglicht somit Simultanzen und beobachtbare Äquivalenzen der hegemonial verhandelten Bedeutung von Schwangerschaft herauszuarbeiten, die zur Universalität und damit Attraktivität des Projekts Mutterschaft beitragen [16].


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[11] Ob ein Diskurs wirklich hegemonial ist, kann nur eine durchgeführte Diskursanalyse in Erfahrung bringen.

[12] Mithilfe der Metapher der biologischen Uhr werde die Biografie von Frauen dreigeteilt – in noch nicht fruchtbar, fruchtbar, und nicht mehr fruchtbar (vgl. Hirschauer et al. 2014: 264). Gestärkt durch sozial erzeugte Ängste einer Vereinsamung im Alter und diskursiv artikulierten Vorwürfen des Egoismus von Karrierefrauen werde die Natur rhetorisch gegen die Entscheidungsfreiheit der Frau in Stellung gebracht (vgl. Diehl 2014). Schwangerschaft gilt hierbei als „ansteckender Zustand“, demzufolge sprechen Hirschauer et al. sogar von einer „sozialen Schwängerung“, anhand derer Frauen noch vor der biologischen Schwängerung dazu gebracht werden, sich mit der Mutterrolle zu identifizieren (vgl. Hirschauer et al. 2014: 263ff.). Ein enormer Kommunikations- und Kontrollaufwand bezüglich der Fruchtbarkeit von Frauen und die Naturalisierung des Mutterglücks sowie des Mutterinstinkts sei zu beobachten (2016: 113f.; Badinter 2010: 13, 17). Meyers spricht im Zuge dessen sogar von einer „internalize[d] oppression“, weswegen es bezüglich des Kinderwunsches wichtig sei zu unterscheiden “when women are speaking in their own voices and when they are lip-syncing the ominous baritone of patriarchy“ (Meyers 2001: 739). Die Auseinandersetzung mit Bildern, abgesehen der Analyse von Ultraschallbildern, der Schwangerschaft stellt dennoch bislang eine Leerstelle dar (als Überblick vgl. Hirschauer et al. 2014: 4f.).

[13] Soziales Umfeld, Alter, Anzahl der Kinder, sexuelle Orientierung, etc. variieren im Korpus, eine solide psychische Verfasstheit und Gesundheit sowohl der Mütter, als auch ihrer Kinder, war jedoch Bedingung für die Aufnahme in das Korpus (vgl. Donath 2014: 350-352; Donath 2015: 202f.)

[14] Es wurde keine eigene Medienanalyse angefertigt, also auch keine mittels Kommentaren zu Onlineposts geführten Debatten nachgezeichnet und analysiert. Die hier illustrierten Beobachtungen sind Onlineartikeln zum Phänomen #regrettingmotherhood entnommen und dienen dazu dominante Positionen und Haltungen bezüglich des Phänomens zu erfassen.

[15] Eine hohe artikulatorische Dichte bezüglich Schwangerschaft lässt sich z.B. bei Treffen und Gesprächen mit Partner*innen, Ärzt*innen, Freund*innen, werdenden Großeltern, etc. finden. Auch Praktiken der „sozialen Schwängerung“ (Hirschauer et al. 2014: 263ff.) zählen diesbezüglich dazu, weshalb auch die Sozialisation und Vorbereitung von Kindern auf ihre potentielle Elternschaft (durchaus auch medial vermittelt in Kinderserien, Kinderbüchern etc.), der Erwartung einer geplanten Fortpflanzung bei Eheschließungen oder die Antizipation von Vorgesetzte*n bezüglich des schwangerschaftsbedingten Ausfalls der Arbeitskraft einer Mitarbeiterin etc. zu der Arena des Diskurses Schwangerschaft gezählt werden können. Diese Situationen zeichnen sich jedoch nur in Ausnahmefällen durch eine visuelle Komponente der artikulatorischen Praktiken aus.

[16] Um den Blick nicht zu stark auf visuelle Artikulationen innerhalb des Beratungssegments zu verengen, wurden ergänzend weitere Korpora (sogenannte Schwangerschaftsshootings und Selfies von Schwangeren) betrachtet. Während durchaus Variationen bezüglich spezifischer diskursiver Momente sichtbar wurden, so zeigten sich jedoch keine grundlegenden Variationen bzgl. der im weiteren Verlauf der Arbeit fokussierten Aspekte. Sie wurden deshalb im Folgenden nicht explizit einbezogen, eine Dokumentation der Untersuchung steht jedoch digital (CD-Rom) im Anhang zur Verfügung.