Explorative Analyse
Anhang
Ausführliche Analyse der Ratgebertitelseiten
Die detaillierte Dokumentation der Kodierungen soll an dieser Stelle aus Komplexitätsgründen nicht verfolgt werden [40]. Vielmehr ist das Ziel dieses Abschnitts, eine Kondensation typischer und markanter Stilelemente, die sich bei einer Vielzahl von visuellen Artikulationen aus dem betrachteten Datenkorpus wiederfinden lassen, prägnant zu skizzieren und zu interpretieren. Während bei der Analyse Beschreibung und Interpretation getrennt wurden, wird dies im Folgenden jedoch zusammengeführt. Hierbei wird vor allem auf folgende Aspekte besonders wert gelegt:
(Wer oder) Was? |
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(Wo und) Was? |
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Was (detaillierter)? |
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Wie? Welcher Ausschnitt? |
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Wie? Gestaltung der Objekte? |
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Wie? Gestaltung der Bildfläche/-komposition? |
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Wie? Effekt? |
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Sonstige Auffälligkeiten |
Besonders auffallend an der Inszenierung der Titelseiten ist, dass es drei Typen des Umfeldes gibt, in denen die schwangeren Frauen porträtiert wurden. Eine Variante ist hierbei, dass es kein erkennbares Umfeld gibt (Typus 1.1). Die Frauen scheinen vor einer weißen Studioleinwand und damit in einem künstlichen Umfeld fotografiert und offensichtlich inszeniert sein. Jedoch gibt es auch Fotografien, in denen durchaus Räumlichkeiten erkennbar sind (Typus 1.2). Dies schließt natürlich nicht aus, dass diese Räumlichkeiten ebenfalls in einem Fotostudio arrangiert wurden. Jedoch ist dies für die Bildwirkung zweitrangig. Wurden Räumlichkeiten einbezogen, so handelt es sich zumeist um den Eindruck eines Wohnzimmers. Dies wurde vor allem durch die Kombination von Polstermöbeln erzeugt. Zum Teil ist lediglich ein Sofa erkennbar, zum Teil wird der Eindruck durch Wände, Fensterfronten oder Dekoartikel ergänzt. In einem Fall handelt es sich bei der Räumlichkeit um ein Badezimmer, andere private Räumlichkeiten (so zum Beispiel Schlafzimmer, Kinderzimmer oder eine Küche) kommen im Datenkorpus nicht vor. Ebenso kommen keine öffentlichen Räumlichkeiten vor, wie dies Einkaufszentren, Arztpraxen oder Büroräumlichkeiten sein könnten. Diese visuelle Simultanz von Schwangerschaft und häuslicher Sphäre ist nicht unbedeutend. Werdende Mütter werden hierdurch auf die private Sphäre des eigenen Haushaltes begrenzt, wodurch nahegelegt wird, dass Schwangerschaft Privatsache ist. Ebenso ist Schwangerschaft visuell gesehen reine Frauensache, denn lediglich bei einer visuellen Artikulation im Datenkorpus ist die Anwesenheit eines Mannes erkennbar (vgl. #9). Die Kombination aus diesen beiden Elementen führt zu einer Reproduktion der in den Gender Studies erforschten Trennung von Produktions- und Reproduktionsarbeit als typisch männliche bzw. weibliche Tätigkeiten (vgl. Schlicht 112f.). Inszenierungen im Freien machen den letzten Typus des Umfeldes aus (Typus 1.3). Dieser Typ tritt seltener auf als die anderen beiden, denn nur vereinzelt sind schwangere Frauen im eigenen Garten (vgl. #27) oder der Natur (im Getreidefeld #39, bzw. auf einer Blumenwiese #18) abgebildet. Urbane Sphären im Freien existieren nicht. Diese hierbei dargestellte Gleichzeitigkeit von Natur und Schwangerschaft ließe sich als Naturalisierung der Mutterrolle und der Reproduktionsarbeit als weibliche Tätigkeit interpretieren, da es vermeintlich in der Natur der Frau liege, sich hiermit auseinanderzusetzend.
Betrachtet man sich nicht nur das Umfeld der Frauen, sondern die Darstellung der Frauen selbst, so fallen ebenfalls einige dominante Merkmale auf. So sind ausschließlich Frauen weißer Hautfarbe, wahrscheinlich mitteleuropäischer Herkunft auf den Titelseiten zu finden. Zudem scheinen sie alle bester körperlicher Verfassung zu sein, keine ist über- oder untergewichtig oder leidet an sonstigen körperlichen Beeinträchtigungen. Sie erscheinen allesamt als sportlich, fit, attraktiv und gesund. Außerdem sind nicht Frauen jedes gebärfähigen Alters vorhanden, sondern zumeist Frauen im Alter von ca. Ende zwanzig und Anfang dreißig. Medizinisch gesehen ist dies jedoch nicht das ideale Alter für eine Schwangerschaft, da die Fruchtbarkeit von Frauen in diesem Alter schon abnimmt, das Risiko von Komplikationen jedoch bereits steigt (vgl. Eltern.de). Klassische Risikoschwangerschaften aufgrund des Alters der Frau beginnen jedoch erst in einem Alter von Ende dreißig und Anfang vierzig (vgl. Gesundheits-Fakten.de). In dieser abgebildeten Altersspanne zeigt sich demnach vor allem das kulturell verhandelte ideale Alter einer Mutterschaft, da mit Ende zwanzig zumeist der Berufseinstieg abgeschlossen ist und ökonomische Stabilität und Autonomie signifikant wahrscheinlicher sind. Da weder ein etwaiger Migrationshintergrund noch eine sozial schwächere Stellung der Schwangeren offensichtlich erkennbar sind, zeigt sich hierin ebenfalls eine milieuspezifische Tendenz: Die Schwangeren scheinen alle aus einem soliden sozialen Hintergrund zu stammen. In diesem Alter und Milieu ist davon auszugehen, dass die Eltern für die materielle Versorgung des Kindes selbst aufkommen können, der Staat nicht oder nur bedingt mit Sozialleistungen aktiv werden muss und dennoch das Risiko einer medizinischen Komplikation noch begrenzt ist, wodurch sich medizinisch bedingte Folgekosten für die Gesellschaft ebenfalls in Grenzen halten. Gleichfalls ist relevant, wie diese Frauen mithilfe des formalen Bildaufbaus und der planimetrischen Komposition dargestellt werden. Hierzu wurden folgende Kategorien systematisch betrachtet: Einstellung (Typus 2: Halbnahe (1), Großaufnahme (2), Halbnahe Plus (3)), Blickrichtung (Typus 3: Blickkontakt/in die Kamera (1), kein Gesicht erkennbar (2), unbestimmter Ort (3), zum eigenen Bauch (4)), visueller bzw. haptischer Kontakt mit dem Bauch (Typus 4: vollständig bekleidet (1), teilweise entblößt (2), vollständig entblößt (3)), Perspektive, Handlungsraum und Ausrichtung (Typus 5: in Leserichtung (1), keine bevorzugte Richtung (2), entgegen der Leserichtung (3)), und schließlich die Wirkung der planimetrische Komposition. Zuletzt wird sich die konkrete Darstellungsweise der Schwangeren eingängiger angeschaut.
Auch bezüglich des formalen Bildaufbaus gibt es typische Darstellungsweisen. So ist in 20 der hier betrachteten 25 Titelseiten, die dargestellte Frau ab dem Hosenbund abgeschnitten, bzw. nur, weil sie im Schneidersitz oder halbliegend auf einem Sofa abgebildet wurde, ist der ganze Körper sichtbar. 13 dieser Titelbilder wurden der Einstellung der Halbnahen (Typus 2.1) zugeordnet, d. h. hierbei ist auch das Gesicht weitestgehend sichtbar, bei den anderen sieben handelt es sich jedoch um eine Großaufnahme (Typus 2.2), bei der lediglich der Rumpf, bzw. der Babybauch sichtbar sind. Die restlichen fünf Bilder sind nicht eindeutig codierbar, da es sich meist um Zwischenkategorien zwischen Halbnahe, Halbtotale und Totale handelt. Sie besitzen jedoch alle einen größeren Bildausschnitt als die Halbnahe und wurden als Halbnahe Plus (Typus 2.3) zusammengefasst. Die Blickrichtungen der Frauen in diesem Typus 2.3 sind auffallend, denn nur zwei der fünf Frauen bauen Blickkontakt mit der*m Betrachter*in auf, während die anderen drei auf einen unbestimmten Ort im Raum schauen. Anders beim Typus 2.1: sieben schauen die*den Betrachter*in direkt an, drei beschäftigen sich ausschließlich mit dem eigenen Bauch, und bei zwei besteht eine nicht-identifizierbare Blickrichtung zu einem unbestimmten Ort, so im Übrigen auch beim Typus 2.2 der Großaufnahme. D. h. jedoch, dass nur bei der Halbnahen eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Bauch geschieht, während bei der Halbnahen Plus das Umfeld der Schwangeren stärker ins Gewicht fällt. Dies führt zu einer Aufteilung des Blickes anhand vier Typen: In ungefähr gleich vielen Fällen (neun) ist die Schwangere mit Blicken adressierbar (Typus 3.1) und somit als potentielle Interaktionspartnerin relevant und wogegen sie in den anderen Fällen (acht) durch die Nichtexistenz des Gesichts und Fokussierung des Bauches entsubjektiviert und auf ihre Körperlichkeit reduziert wird (Typus 3.2). In fünf weiteren Fällen fokussieren die Frauen einen unbestimmten Ort in ihrem unmittelbaren Umfeld (Typus 3.3) und nur drei betrachten den eigenen Bauch (Typus 3.4). Jedoch ist die Blickrichtung zum Bauch nicht die einzig mögliche Interaktion mit dem Ungeborenen und dem Babybauch, denn auch durch die Handberührung des Bauchs kann mit dem Ungeborenen eine soziale Interaktion, ein Kontakt aufgebaut werden (vgl. Hirschauer et al. 2014: 137ff.; 94ff.). Denn bei insgesamt 18 der 25 – d. h. bei 72% – der Artikulationen ist mindestens eine Hand der Schwangeren am Babybauch bzw. wurde der Kontakt noch nicht hergestellt jedoch antizipiert. Ebenso ist auffallend, dass in vielen Fällen die visuelle Kontaktaufnahme durch die Entblößung des Babybauches erleichtert scheint. Während in sieben Fällen der Babybauch vollständig bedeckt ist (Typus 4.1), so ist in fünf Fällen zumindest teilweise bis die Hälfte des Babybauchs entblößt (Typus 4.2) und in zwölf Fällen ist der Bauch in seiner Gänze nackt sichtbar (Typus 4.3). Visuell als auch haptisch scheint bei einem nackten Babybauch, ohne die trennende Wirkung der Kleidung, ein unmittelbarer und damit intensiverer Kontakt mit dem Ungeborenen aufgebaut werden zu können. Außerdem kann hierdurch in 68% der Fälle auch der*die Betrachter*in mit dem Ungeborenen visuell engeren Kontakt aufnehmen.
Betrachtet man die Perspektive, aus denen die Schwangeren aufgenommen wurden, so sind mit zwei Ausnahmen (#4: leichte Aufsicht; #48: leichte Untersicht) alle aus einer Normalperspektive fotografiert. Das Besondere daran ist jedoch, worauf sich die Normalsicht bezieht, denn sobald das Gesicht nicht oder nur am Rande existent ist und/oder der Bildfokus auf dem Unterleib liegt, so entspricht die vermeintliche Augenhöhe des*der Betrachtenden durchgängig der Höhe des Bauchs statt der Augenhöhe der Schwangeren, selbst wenn sie sitzt oder liegt. D. h. eigentlich handelt es sich bei einigen Fällen um eine erniedrigte Normalsicht auf den Babybauch und nicht um eine Normalsicht zur Schwangeren.
Betrachtet man den Raum den die Schwangeren auf dem Cover einnehmen und ihre Ausrichtung in diesem Raum, so fallen verschiedene Dinge auf[41]. 13 Schwangere sind auf allen Quadranten präsent, während in vier Fällen sich die Frauen nur auf der linken Bildhälfte, in drei Fällen nur in der unteren Bildhälfte und in zwei weiteren Fällen nur in der unteren linken Bildhälfte aufhalten. Lediglich in zwei weiteren Fällen konzentriert sich die Anwesenheit der Schwangeren auf der rechten Bildhälfte. Der quantitativ beanspruchte Raum wird durch den potentiellen Handlungsraum, der sich den Frauen bietet, der physischen Ausrichtung ihres Körpers und ihrer Aufmerksamkeit verstärkt. Unterschieden wird hierbei danach, ob die Körperhaltung und/oder Blickrichtung entsprechend der westlichen Leserichtung, entgegen dieser oder vollständig frontal ist. Während also bei 15 Bildern die Tendenz der Ausrichtung entsprechend der Leserichtung ist (Typus 5.1), bei sechs keine Seite bevorzugt wird (Typus 5.2), jedoch nur bei vier sie der Leserichtung entgegenläuft (Typus 5.3), könnte dies in Kombination mit der Konzentration der Körper auf der linken Bildhälfte und dem sich ergebenden Handlungsraum auf der rechten Bildhälfte entsprechend kultureller Konventionen als Zukunftsorientierung, als Aktivität und Progressivität interpretiert werden. Eine Zukunftsorientierung ist beim Thema Schwangerschaft leicht nachvollziehbar – es ist die Zeit der Erwartung, der Vorbereitung und unumkehrbarer bzw. großer Veränderungen. Jedoch sprechen drei Gestaltungselemente dennoch gegen eine Interpretation einer ausgeprägten Agency der Frauen. So sind sie zumeist in einer passiven, durch Immobilität gekennzeichneten Körperhaltung (1): Zehn Frauen befinden sich in einer Sitzposition, entweder im Schneidersitz oder Fersensitz auf dem Boden oder in halb liegender Sitzposition auf einem Sofa. Lediglich bei vier Bildern ist eine körperliche Mobilität zu erahnen, wovon jedoch zwei Sportübungen auf einer festen Stelle auf dem Boden verüben (#27, #41). Die anderen beiden befinden sich hingegen im Freien und scheinen nur in einem zufälligen Moment aufgenommen, aus einem natürlichen Bewegungsablauf herausgerissen (#39, #48). Diese beiden Bilder bekommen hierdurch im Vergleich eine auffallend große Narrativität, da die Sekunden vor und nach dem Moment der Auslösung ebenfalls im Bild enthalten sind (vgl. Paul 2005: 23). In mindestens fünf Fällen ergibt sich der Eindruck, dass der Bildzuschnitt die Handlungsmöglichkeiten der Schwangeren zusätzlich beschränkt, sie ihres Handlungsspielraums in aller Gänze beraubt (2). Des Weiteren sind einige Frauen mit ihrer Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper (3) und nicht auf die Umgebung oder die nähere Zukunft gerichtet. Die Zukunftsorientierung einer Schwangerschaft scheint sich dadurch rein auf die Zukunft des Ungeborenen zu beziehen, der Schwangeren wird selbst keine nennens- oder beachtenswerte Zukunft innerhalb der Bildkomposition zugeschrieben.
Die Analyse der planimetrischen Komposition stellt sich als die komplexeste Kategorie in der Betrachtung eines für eine Bildanalyse ungewöhnlich großen Datenkorpus heraus. Einleuchtend ist, dass es auch hierbei ähnliche Tendenzen der faktischen Existenz von typischen Feldlinien gibt. So sind Pfeil- bzw. Fluchtpunktbildungen häufig zu finden. Verallgemeinern lässt sich deshalb die Wirkung dieser Feldlinien noch lange nicht, eine Abstraktion auf eine einheitliche bzw. systematische Interpretation ist durchaus komplexer. So können manche Feldlinienarrangements für Chaos in einem Bild sorgen, in einem anderen die kompositorische Wirkung scheinbar nicht beeinflussen. Zudem kann durch ganz unterschiedliche Stilmittel (Platzierung im Bildraum, Fluchtpunkte, Blickrichtungen, Kontraste, etc.) Aufmerksamkeit gebündelt und verstärkt werden. Aus diesem Grund wurde in dem vorliegenden Fall nicht die vorhandenen Elemente an sich kodiert, stattdessen deren Wirkung.
Eine eindeutige Tendenz des kompositorischen Fokus besteht im Ratgeber-Korpus zwar nicht, mit jeweils fünf Vorkommnissen sind die Elemente Brust, Gesicht und Bauch jeweils gleich häufig durch eine zentrale Position gekennzeichnet – jedoch wurde mithilfe von Feldlinien bei elf Bildern eine Fokussierung des Babybauches begünstigt. Jedoch können Feldlinien nicht nur Objekte betonen, sondern auch den Gesamteindruck von visuellen Artikulationen beeinflussen. Ohne eine Illustration der Feldlinien scheint deren Einfluss oft nicht explizit erklärbar und bleibt damit diffus. Im vorliegenden Fall wurde vor allem auf die Wirkungen der Progression und der Regression, also eines Vorwärtsstrebens bzw. einer vermeintlichen Verlangsamung des Bildgeschehens, einer statischen und symmetrischen Ausgeglichenheit im Gegensatz zu wirren/widerstrebenden und dabei Chaos und Instabilität erzeugenden Linien sowie schließlich auf Kippwirkungen geachtet. Vereinzelt führte der Bildaufbau zu vermeintlich kreisenden Bewegungen in anderen bildeten die Linien eine Art Zentrum von dem ausgehend sie sich über die Bildfläche strahlenförmig auffächerten (vgl. #13, #26). Außerdem können Feldlinien auch zu einem dämpfend und drückenden bzw. hängenden Eindruck führen, bei denen es scheint, als ob eine Last vom oberen Bildrand auf die Bildelemente drückt, bzw. eine Kraft zentrale Bildelemente nach unten zieht. Unterschiedliche, durchaus widersprüchlich erscheinende Einflüsse können hierbei gleichzeitig aktiv sein und weswegen Mehrfachkodierungen vorkommen, denn so kann ein Bild gleichzeitig progressiv, als auch drückend wirken (vgl. #6, #18) Die einzelnen Kodierungen setzen sich wie folgt zusammen: Am häufigsten taucht der Code drückend/absteigend mit 13 Vorkommnissen auf, sein Gegenspieler aufsteigend jedoch bedeutend seltener mit vier Kodierungen, in drei weiteren Fällen wurde der Code strahlend/auffächernd verwendet, der nicht mit aufsteigend gleichzusetzen ist, jedoch ebenfalls tendenziell einen positiven Eindruck hinterlässt. Jedoch kann diese Auffächerung auch zu Chaos bzw. zu einer Kippwirkung führen, wie dies in Kombination mit strahlend/auffächernd zweimal geschah. Insgesamt ist eine Kippwirkung jedoch mit sieben Codes als dritthäufigster Code recht stark ausgeprägt, meist – so in drei der sieben Fälle ist dies kombiniert mit einer drückend/absteigend-Kodierung. Der Eindruck des Chaos wurde in vier Fällen beobachtet in zwei weiteren Fällen erzeugten die Feldlinien den Eindruck einer harmonischen Kreisbewegung. Der zweithäufigste Code ist der, der Progression mit neun Kodierungen, sein Gegenspieler Regression ist nur sechsmal vorhanden. In zwei weiteren Fällen ist jedoch weder Pro- noch Regression, stattdessen eine auffallende Statik zu beobachten. In zwei zusätzlichen Fällen sind die Bilder auffallend symmetrisch. Die bedeutendsten Codes sind folglich drückend/absteigend (13mal), Progression (neunmal), und eine Kippwirkung (siebenmal).
Weiter oben wurde schon angedeutet, dass die Frauen allesamt weißer Hautfarbe, normalgewichtig und augenscheinlich fit und gesund sind. Jedoch sind das nicht die einzigen Eigenschaften, die diesen Frauen zugeordnet werden. So sind auch fast alle Frauen (mit Ausnahme #9) optisch sehr offensichtlich schwanger, d. h. mindestens im letzten Trimester, wenn nicht sogar im letzten Monat. Zum Teil könnte dies darin begründet sein, dass für die Analyse explizit Bilder von Schwangeren und damit auch von sichtbaren Schwangerschaftsbäuchen maßgeblich war. Jedoch zeigt eine Durchsicht aller Titelseiten der ersten 50 Ergebnisse der Amazon.de-Suchanfrage nichts Anderes. Abgesehen des Titelbilds eines Romans über das Verliebtsein (#45, also kein Ratgeber) ist das eben schon erwähnte Bild #9 die einzige Ausnahme, bei der eine Frau ohne ein offensichtlich anwesendes Baby – entweder vor oder nach der Entbindung – zu sehen ist. Ein Baby gehört natürlich zu einer Schwangerschaft dazu, jedoch beginnt eine Schwangerschaft und die Vorbereitungen schon weit früher, während der Schwangerschaftsbauch erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft überhaupt sichtbar und erst kurz vor der Entbindung so kugelrund ist, wie dies die Bilder zeigen. Die Zeiten der Vorbereitung auf die Empfängnis und deren möglichen Hindernisse, die Einnistung des Fötus im Uterus und der zahlreichen möglichen Komplikationen und Risiken sowie die ersten Kindsregungen und Kontaktaufnahmen zwischen Ungeborenem und Schwangeren, sowie der Co-Schwangeren sind demnach auf den Ratgebern visuell nicht existent, wenn sie auch durchaus in den Ratgebern mit zahlreichen Handlungsaufforderungen und Vorkehrungsmaßnahmen einigen Raum einnehmen (vgl. Bauer 2010).
Die Präsentation der Schwangeren verläuft jedoch mit leichten Variationen einem sehr einheitlichen Typus. So ist auffallend, dass die meisten Frauen nicht oder zurückhaltend geschminkt sind – sofern dies erkennbar ist –, sodass der Eindruck eines natürlichen, dezenten und klaren Teints entsteht. Häufig wurden die Lippen mit einem zarten Rosé-Ton verstärkt und den Augen mit Mascara etwas mehr Ausdruck verliehen, ebenfalls sind Ermüdungserscheinungen, Augenringe, Hautrötungen oder schwitzig-glänzende Haut kaschiert und optisch nicht existent. Keine der abgebildeten Frauen zeigt Hautunreinheiten, Dehnungsstreifen oder Narben, auch nicht von vorherigen Kaiserschnitten o.ä. Die Frauen sehen dadurch allesamt frisch, erholt und gesund aus. Ein zufriedenes Lächeln unterstreicht stets diesen Eindruck. Außerdem sind aufwändige Frisuren nicht vorhanden. Meist fallen die Haare locker über die Schultern oder sind zu einem einfachen, lockeren Zopf oder Knoten zusammengefasst. Dieses betont legere Styling führt sich im Kleidungsstil der Schwangeren fort. Sie tragen fast ausschließlich bequeme, elastische Kleidung, wie sie zu Hause, zur Freizeit und/oder bei nicht bewegungsintensiven Sportarten, wie Yoga, getragen werden. Hierin dupliziert sich, die oben schon beobachtete Trennung in Produktions- und Reproduktionsarbeit, denn keiner der Kleidungsstile ist gesellschaftlich akzeptiert in einem Arbeitsumfeld, meist nicht einmal für die öffentliche Sphäre an sich[42]. Ebenso auffallend ist die Farbe der Kleidung: Mit insgesamt zwölf Artikulationen ist die Kleidungsfarbe eines reinen Weiß, in drei zusätzlichen Fällen ein sehr helles Beige, mit Abstand am häufigsten. In zwei weiteren Fällen sind die Farben ebenfalls sehr hell und pastellfarben. So ergibt sich eine Verteilung von 16 sehr hellen bis vornehmlich weißen Farben zu fünf Fällen mit kräftigen, bunten Farben bzw. in zwei weiteren dunklen bzw. schwarzen Kleidungsstücken. Diese Farbgebung wiederholt sich zumeist in der Gestaltung des Umfelds wieder, denn von den sechs Polstermöbeln, auf denen die Frauen sitzen, sind vier beige, eines ist (pastell-)grün und eines schwarz. Beachtet man die symbolisierende Wirkung von Farben so kann die Dominanz von weißen bzw. hellen Farben auf verschiedene Art interpretiert werden. So steht die Farbe Weiß in unserem Kulturkreis für Reinlichkeit und Unschuld. Bei den zum Teil sehr strahlenden Weißtönen scheint die naheliegendste Assoziation die der klinischen Reinlichkeit und Sterilität zu sein, wie dies nicht nur bei Arztkleidung reproduziert wird. Diese Verknüpfung der Schwangerschaft mit der Medizin und Kliniken entspricht auch der Zunahme an medizinischen Kontroll- und Vorsorgemaßnahmen, selbst wenn Schwangerschaft nicht als Krankheit definiert ist, allenfalls als (sozial) ‚erwünschte Behinderung‘ gelten kann (vgl. Hirschauer et al. 2014: 257). Jedoch ist die Reinlichkeit mit seiner Verknüpfung zur Unschuld auch in diesem Falle besonders spannend. So gilt historisch-kulturell die Mutterliebe als die reinste Form der Liebe überhaupt (vgl. Badinter 1981), außerdem gelten (historisch-kulturell) Kinder als prinzipiell unschuldig und deren Geburt als durchweg positiv und erstrebenswert. Eine visuelle Kombination der symbolischen Konnotation der Farbe Weiß, sowie das Wissen um die Reinheit und Unschuld, die mit der Entstehung von Leben und der Liebe einer Mutter verbunden wird, ermöglicht eine Vermutung (jedoch keine abschließende Aussage) der Interpretation dessen: So scheint es, dass sich visuell durch die Dominanz der Farbe Weiß, die damit und mit dem Ungeborenen an sich verbundene Reinheit und Unschuld auf die Schwangere überträgt. Möglicherweise bedeutet das, dass eine Frau durch ihre Schwangerschaft eine Art kartesische Reinigung durchläuft und hierdurch zu ihrer reinsten und natürlichsten Form als Mutter gelangt. Ebenso lassen die Bilder Assoziationen mit typischen Bildern aus dem Kontext der Yoga-Philosophie zu, welche die Auslegung von Ausgeglichenheit, Resilienz nahelegt. Hierdurch scheinen die Schwangeren völlig in ihrem Element zu sein.
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[40] Eine ausführliche Dokumentation der Ergebnisse steht digital im Anhang zur eingängigeren Betrachtung zur Verfügung. Vorgehen der Analyse war hierbei dadurch gekennzeichnet, dass die eingangs skizzierten Merkmale in einer Exceltabelle aufgelistet wurden und daraufhin die einzelnen Bilder betrachtet, beschrieben und schließlich einheitlich codiert wurden. Zur Kodierung wurde die Software ‚MAXQDA‘ verwendet. Diese Kodierung diente weniger dafür repräsentative Werte oder exakte Korrelationen zu ermitteln, statt vielmehr eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
[41] Bei diesem Aspekt lassen sich die Kodierungen nicht immer auf die Gesamtzahl 25 summieren, da bei manchen Bildern keine der Kategorien sinnvoll zuordenbar ist (vgl. u. a. #28).
[42] #26 und #31 verstärken durch ihre Nacktheit den Eindruck der Natürlichkeit und Unverfälschtheit. Die weiße Bluse bei #51 könnte an sich einem Arbeitsumfeld zugeordnet werden, jedoch ist die hier abgebildete Bluse keine Schwangerschaftsbluse, die Knöpfe auf Höhe des Bauches lassen sich nicht schließen. Der Bauch schaut hervor und wird durch das Aufstehen der Bluse zusätzlich betont. Es handelt sich also nicht um formelle Kleidung, sondern um eine Inszenierung und Betonung des Schwangerschaftsbauchs. Während das elastische Kleid bei #17 zu bequemer Freizeitkleidung gezählt wurde, ist das Kleid bei #18 eine Ausnahme: Die Verwendung von Spitze romantisiert das vollständig weiße Kleid enorm. In einem westlichen Kulturraum werden dadurch Assoziationen mit einem Brautkleid aktualisiert, dessen weiße Farbe auf ein Narrativ der jungfräulichen Unbeflecktheit verweist. Bei einer bestehenden Schwangerschaft ist dies absurd, jedoch zeigen sich hierbei Parallelen zu Dorothea Bauers Analyse von Schwangerschaftsratgeber ersichtlich. Sie zeigt, dass der Körper der Schwangeren mit voranschreitender Schwangerschaft eine Entsexualisierung durchläuft (vgl. Bauer 2010: 34).