Schlussbetrachtung

Laclau und Mouffe betonen, dass eine Diskurstheorie nicht auf sprachliche Entitäten beschränkt bleiben darf, sondern sich der mannigfaltigen Arten von Bedeutungskonstruktionen annehmen muss. Demzufolge ist es sinnvoll, sich auch eingehender mit einer Theorie visueller Diskurse zu beschäftigen. Eine Sensibilisierung für die Besonderheiten visueller Artikulationen stellt deshalb das Vorhaben dieser Arbeit dar.

Die zu Beginn der Arbeit im Abschnitt "Theorie" getätigten Ausführungen bezüglich der Diskurstheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe lassen sich zu den folgenden zentralen Aspekten zusammenführen: Als Praxis des In-Beziehung-Setzens ermöglichen es Artikulationen Bedeutungen zu generieren und vorübergehend zu fixieren. Die Temporalität der Bedeutungsfixierungen verhindert jedoch eine endgültige Schließung des Sozialen, wodurch das Soziale notwendigerweise kontingent bleibt. Die soziale Ordnung ist deshalb prinzipiell strittig und damit instabil. Stabilität gewinnt eine soziale Ordnung stattdessen aufgrund einer Grenzziehung zu einem Jenseits der Signifikation, das selbst nicht bezeichnet werden kann. Ein Gemeinsames entsteht dadurch, dass alle Elemente bezüglich des Ausgeschlossenen – lediglich zu dem, was sie nicht sind – äquivalent werden. Dies bedarf eines unmöglichen Objektes, – eines entleerten Signifikanten – das bzw. der sich selbst jeglicher Bedeutung entleert und schließlich nur noch die Einheit gegenüber dem Ausgeschlossenen repräsentiert. Eine hegemoniale Stabilisierung des Sozialen wird im Wettstreit um die Universalität und Alternativlosigkeit des jeweiligen Versprechens einzelner Diskursstränge, den Mangel zu beheben, möglich.

Auch visuelle Artikulationen sind Teil des Diskursiven und an der Konstruktion von Stabilität und Universalität beteiligt. Als Teil eines relationalen Bedeutungssystems müssen auch visuelle Artikulationen in Beziehung zu einem Knotenpunkt treten, um sinnvoll erfahrbar zu sein. Ebenso ist es plausibel, dass auch visuelle Zeichen sich durch eine Äquivalenzbildung ihrer Bedeutung tendenziell entleeren. Das Ausgeschlossene selbst kann hingegen in keiner visuellen Artikulation sichtbar sein, sondern ist nur in seiner Abwesenheit als Spur erfahrbar. Deshalb sind für eine Betrachtung visueller Diskurse zwei Aspekte gleichermaßen wichtig: Das, was allen Artikulationen gemein ist sowie das, was unsichtbar und damit ausgeschlossen bleibt.

Zur Entwicklung einer genuinen Perspektive auf visuelle Artikulationen wurde ein beispielhaftes Datenkorpus, bestehend aus Titelseiten von Schwangerschaftsratgebern, explorativ untersucht (vgl. "Ratgeber"), um theoretische Schlussfolgerungen für eine Theorie visueller Diskurse zu ermöglichen. Aus Mangel an einer bestehenden Methode der visuellen Diskursanalyse konnte mithilfe einer Kombination aus drei methodischen Ansätzen (vgl. "Methodologie") das Datenmaterial produktiv bearbeitet werden. Das praktische Vorgehen einer visuellen Stilanalyse nach Stefan Meier wurde hierbei in modifizierter Form angewendet und konnte mithilfe der durch Martin Nonhoff inspirierten, heuristischen Grundhaltung einer Suche nach dem gleicherweise präsenten Etwas, also nach der Forderung mit dem Versprechen zur Überwindung des konstitutiven Mangels, geschärft werden. Eine Sensibilisierung für die nicht-artikulierbare Negation der Ordnung gelingt mittels der Inversion der visualisierten Forderungen. Die Simultanzanalyse von Cornelia Bruell ermöglicht auch Äquivalenzierungen und Antagonisierungen visueller Art erfassbar zu machen. Dies schafft die Voraussetzung für Rückschlüsse auf stabilisierende Knotenpunkte im Zentrum des Diskurses. So legt hierbei die Sichtung des Datenmaterials hinsichtlich äquivalenzierenden, lösenden und antagonisierenden Simultanzen nahe, die Wölbung des Schwangerschaftsbauchs als Knotenpunkt des Diskurses zu verstehen. Letztendlich bezeichnet dieser scheinbar nichts anderes, als die Positivität der Schwangerschaft im doppelten Sinne (vgl. "Signifikant vs. Artikulation").

Die hier mithilfe von Nonhoff, Bruell und Meier entwickelte Methode hat sich m. E. bezüglich einer Suche nach dem gleicherweise präsenten Etwas, das allen Artikulationen gemein ist und hierdurch die Stabilisierung des Diskurses ermöglicht, als durchaus produktiv und praktikabel erwiesen. Durch den sehr hohen Grad der Systematisierung der Beobachtungskriterien lassen sich sowohl Regelmäßigkeiten, sowie das in allen Artikulationen Abwesende und Ausgeschlossene eindrücklich nachzeichnen. So scheint sich, die hier versammelte Betrachtungsweise besonders für eine Untersuchung des hegemonialen Zentrums und dessen umfassende Forderung zu eigen.

Mit der hier entwickelten Perspektive lässt sich keiner Feinanalyse und somit auch keiner detaillierter Interpretation der Aussagen eines spezifischen Bildes Rechnung tragen. Aufgrund ihres hohen Systematisierungsgrades ist diese methodische Herangehensweise zu gewissen Graden blind für jeweilige Besonderheiten der Artikulation. Dennoch denke ich, dass sich mit diesem Programm durchaus Besonderheiten und damit außergewöhnliche Artikulationen aufspüren lassen, die wenig Gemeinsamkeiten mit anderen Artikulationen aufweisen. Der hierbei ausgewählte Datenkorpus erwies sich hierfür jedoch als zu homogen. Diese Homogenität kann aber nicht nur auf den letztlich relativ kleinen Datenkorpus zurückgeführt werden, denn so konnten auch bei einer groben Betrachtung der aus Sättigungsgründen schlussendlich nicht aufgenommenen Artikulation, keine nennenswerten Abweichungen hiervon entdeckt werden. In der Tat hätte und hat eine Analyse ergänzender Korpora Hinweise darauf gegeben, dass auch andere Themen mit Schwangerschaft verknüpfbar sind. So konnte zum Beispiel im Falle von Schwangerschaftsshootings ermittelt werden, dass hierbei weniger Schwangerschaft, als vielmehr Vaterschaft, die Entstehung der Kleinfamilie, die Entstehung und Kontaktaufnahme zu einem neuen Familienmitglied etc. zentrale Themen waren (vgl. hierzu die im digitalen Anhang bereitgestellte Dokumentation). Mithilfe des hier verwendeten Werkzeugkastens lässt sich demnach durchaus aufspüren, welche Diskurse eng verknüpft sind, als auch, wodurch diese als äquivalent betrachtet werden. Demzufolge hätten auch subjekttheoretische oder gendertheoretische Aspekte im Vordergrund der Arbeit stehen können, so zum Beispiel: Wodurch wird ein Subjekt zur Schwangeren/zu einem Vater/zu einer Mutter? Wie wird das Ungeborene zu einem adressierbaren Subjekt? Welche Subjektpositionen eröffnen sich einer Schwangeren? Wie reproduziert sich visuell die Zweigeschlechtlichkeit? Welche Rollen, welche Sphären und Handlungspotentiale stehen den jeweiligen Geschlechtern zur Verfügung? U. v. m. Da jedoch das Interesse dieser Arbeit weniger auf dem Schwangerschaftsdiskurs an sich, als vielmehr auf einer Sensibilisierung bezüglich Besonderheiten visueller Artikulationen lag, wurden solche Fragen jedoch bewusst nicht in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Explizite Konflikte haben sich dennoch auch in den ergänzenden Korpora nicht gezeigt. Auf der Grundlage einer Theorie, die besonders das Konflikthafte des Sozialen betont, scheint es verwunderlich, dass diese Arbeit letzten Endes gerade die Abwesenheit eines Konfliktes zum Thema hatte. Kern der Theorie ist nun mal, dass die diskursive Ordnung stets prekär ist, ihre Fixierungen lediglich temporär sind. Folglich deuten Brüche und Risse, in denen andere, ebenso mögliche Ordnungen durchscheinen, auf die Kontingenz des Sozialen und wirken destabilisierend auf das hegemoniale Zentrum. In Konsequenz ringen hegemoniale Projekte beständig mit funktionalen Äquivalenten um ihre Vorherrschaft.

Denkbar ist, dass das Konflikthafte und eine Thematisierung bestehender Konflikte und Aushandlungsprozesse aus heuristischen Gründen nur eingeschränkt möglich war. So deuten die hier durchgeführten Erkundungen an, dass sich bei solchen Aushandlungsprozessen, die Typen der Artikulation relativ stark überschneiden – Texte auf Bilder folgen und Praktiken zu Texten und Bildern führen etc. – deren Eigenarten bei einer Diskursanalyse jedoch methodisch Rechnung getragen werden müsste. Eine Zusammenstellung des Datenkorpus erweist sich hierbei jedoch als heikel: Eine Diskursanalyse müsste sich deshalb der vielfältigen Artikulationstypen annehmen und Praktiken der Äquivalenzierung und Differenzierung nicht nur innerhalb eines Artikulationstypus, sondern auch typenübergreifend zu erfassen suchen. Die Aspekte des Web 2.0 und der Social Media, die sich u. a. durch Kommentarfunktionen ergeben, wären folglich einzubeziehen. Vorschläge zur qualitativen Analyse solch internetbasierter Daten aus Online-Meiden, die eine visuelle Diskursanalyse sinnvoll ergänzen könnten, finden sich bei Dominique Schirmer et al. (2015). Vorerst wurde jedoch von einer solchen Untersuchung abgesehen, um den Blick für das genuin Spezifische visueller Artikulationen nicht zu verlieren.

Die scheinbare Abwesenheit des Konflikthaften wurde in dieser Arbeit jedoch nicht als Hindernis betrachtet, im Gegenteil: M. E. ließt gerade die bemerkenswerte Homogenität des Datenkorpus in Kombination mit der Theorie von Laclau und Mouffe eine Verwunderung über die Abwesenheit des Konflikthaften zu. Keineswegs soll hierbei die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Schwangerschaft ein konfliktfreier Diskurs wäre. Stattdessen wurde die bemerkenswerte Homogenität des Datenkorpus zum Anlass genommen, Besonderheiten visueller Artikulationen als solche nachzuspüren. So konnte gerade die Analyse eines recht homogenen Datenkorpus der Ratgeberliteratur Aufschluss über biopolitische Implikationen des hier erfassbaren Bereichs des Schwangerschaftsdiskurses geben. In den Ratgebern kommen nur diese Schwangeren vor, die in der Praxis die eigentlich kleinste Gruppe darstellen, nämlich, die Weißen, Gesunden, Gebildeten und Vermögenden. Dies ist machttheoretisch besonders interessant, wenngleich es nicht bedeutet, dass nur solche Frauen Kinder bekommen dürften oder gar müssen, denn andere Schwangere sowie Kinderlose existieren und sind hiermit auch Teil der diskursiven Ordnung. Die Praxis der Schwangerschaft ist somit in der Tat vielfältiger, als das visuell erzeugte Bild der Schwangerschaft. Ein visueller Diskurs ist also keinesfalls als Zwangsinstrument zu missverstehen, dennoch agiert der visuelle Diskurs um einiges biopolitischer, als es verbale Artikulationen könnten oder es die Praxis der Schwangerschaft nahelegt. Er bereinigt und formt eindrücklicher das Bild, das gesellschaftlich mit einer idealen Schwangerschaft assoziiert werden kann, was als erstrebenswert und als verwerflich gilt und ist dadurch maßgeblich an der Konstruktion der sozialen Ordnung beteiligt.

Bemerkenswert ist jedoch etwas anderes, denn gerade weil die visuellen Artikulationen so unglaublich ähnlich und homogen waren, konnten sich Erkenntnisse abseits der Gegenstandsebene der Artikulationen formen. Während verbalen Artikulationen vergleichbaren biopolitischen Ausmaßes geradewegs etwas Empörendes anhaftete, blieb ein solches Unbehagen bezüglich der ursprünglichen visuellen Artikulationen aus. Gerade die Homogenität des Datenmaterials ermöglichte folglich den Voraussetzungen und Möglichkeiten eines Widerspruchs oder einer Relativierung, bzw. des Ausbleibens solcher, nachzuspüren.

Im dritten Teil dieser Arbeit standen daraufhin die Besonderheiten visueller Artikulationen und notwendige theoretische Ergänzungen im Vordergrund, um Diskurse auch visuell denkbar zu machen. Im Abschnitt "Signfikant vs. Artikulation" wurde deutlich, dass die Materialität von Bildern zu dem Schluss führen muss, dass visuelle Signifikanten nur als Gedankenspiel existieren können, jedoch jede visuelle Signifikation stets als Artikulation zu verstehen ist. Außerdem impliziert die lediglich partielle Fixierbarkeit des Sozialen ihre konstitutive Kontingenz, wodurch diese prinzipiell und immer strittig und folglich auch konflikthaft ist (vgl. "Widerspruch"). Während die Diskurstheorie von Laclau und Mouffe eine widerspruchshemmende Wirkung bezüglich leerer Signifikanten, jedoch nicht gegenüber verbalen Artikulationen allgemein beobachtet, sind Laclau und Mouffe unzureichend, um das Ausbleiben eines Dissens im Falle der visuellen Artikulationen zu erklären. Ebenfalls kommen Erklärungsansätze einer Suggestion von Objektivität bzw. einer Kontingenzverleugnung, die Bildern zu eigen sei, aufgrund der Artifizialität des Korpus – offensichtlich Inszeniertem, Bearbeitetem sowie Zeichnungen und Grafiken – an ihre Grenzen (vgl. "Widerspruch"). Diese können zudem nicht zugleich einen Sturm der Entrüstung und eine Widerspruchshemmung erklären, da es visuelle Artikulationen zu geben scheint, die die Stillstellung der Kontingenz nicht verleugnen, sondern gerade enttarnen und folglich als Risse der sozialen Ordnung zu verstehen sind (vgl. "Exkurs"). Stattdessen wurde im Abschnitt "affektive Dimension") dieser Arbeit der Versuch unternommen, Laclau und Mouffe bezüglich einer Theorie visueller Diskurse um die Komponente der Nonverbalität bzw. der Vorsprachlichkeit zu ergänzen. Hierbei zeigte sich, das die Materialität des Körpers und seine Affizierbarkeit, zu wenig in der Diskurstheorie von Laclau und Mouffe einbezogen wurde. Denn begreift man Affekte als prä-kognitiv Wahrgenommenes, körperlich Gelebtes, demnach als Unwiderstehliches und nicht Ablehnbares, so führt das zu der Schlussfolgerung, dass auch durch (visuelle) Artikulationen ausgelöste Affekte als körperlich Gelebtes nicht zurückgewiesen werden können. Erst retrospektiv kann das Erlebte im Zuge eines Reflexionsprozesses die Dimension der sprachlichen Artikulierbarkeit erreichen und gegebenenfalls relativiert oder widersprochen werden. Da jedoch auch Körperliches sozial geformt ist, sind Affekte zwar vorartikulatorisch, jedoch immer schon diskursiv. Oder anders: Affekte sind verkörperte Diskurse. Die Materialität der Sprachlichkeit scheint die Dimension der Vorartikulation bei verbalen Artikulationen zu verringern und eine reflektierende Auseinandersetzung, d. h. Empörung, Dissens und Verhandelbarkeit zu erleichtern. Affekt ist bei Texten nicht gänzlich abwesend, jedoch scheinen mit Bildern u. a. auch biopolitische Aspekte artikulierbar, die z. B. aus Gründen der political correctness, verbal nicht dementsprechend sagbar sind.

Die Perspektive eines radical investment ermöglichte diese körperlich gelebte Dimension des Diskursiven auch bezüglich eines entleerten Signifikanten einzubeziehen (vgl. "affektive Dimension"). Da ein Objekt der Begierde nur in seiner Abwesenheit existieren kann, kann ein leerer Signifikant seine affektive Sogwirkung nur durch seine Unerfülltheit entfalten. Eine solch positive Affizierung scheint der Universalisierung des Dargestellten – einer vorartikulatorischen Reduktion der Kontingenzerfahrung – und damit einer Invisibilisierung anderer, prinzipiell ebenso möglicher Darstellungen zu dienen. Andere Arten der Schwangerschaft scheinen deshalb nicht nur weniger positiv affizierbar, sondern (zumindest bezüglich des Ratgebergenres) gänzlich unsichtbar zu sein.

Die folglich auf ganz unterschiedliche Arten sinnlich wahrnehmbare Sozialität ist mithilfe des Konzepts der ‚Aufteilung des Sinnlichen‘ differenzierter zu betrachten (vgl. "Entpolitisierung"). Nur was sinnlich wahrnehmbar ist, ist folglich gesellschaftlich existent und so ist die Teilhabe am Gemeinsamen bzw. der Ausschluss von Anteillosbleibenden als Resultat von Sichtbarmachungen und Unsichtbarmachungen zu verstehen. Während Rancière zufolge Artikulationen einer polizeilichen Logik dazu dienen, diese Aufteilung zu schützen, sie als natürlich und harmonisch zu suggerieren, so ermöglicht die politische Logik hingegen, das sichtbar zu machen, was nicht hätte gesehen werden dürfen. Sie ist die Sichtbarmachung von Kontingenz im Dissens und zielt durch eine Einführung der Anteillosen in das Gemeinsame auf eine Neuaufteilung des Sinnlichen. Entgegen einer temporären Stilllegung der Kontingenz mittels einer Bildung von Äquivalenzketten und entleerter Signifikanten, zeigt diese Betrachtungsweise, dass soziale Verhältnisse zwar immer kontingent und damit prinzipiell strittig sind; Sichtbare und damit überhaupt erfahrbare Kontingenz existiert jedoch lediglich in der Dimension der Politik, denn bei Artikulationen der polizeilichen Ordnung handelt es sich nicht um latente Konflikte, sie sind gar nicht existent.

Während visuelle Artikulationen aufgrund ihrer Fähigkeiten zur Sichtbarmachung theoretisch ein geeignetes Instrument der Politik wären, so führt die positive Überspitzung der hier empirisch betrachteten Artikulationen zu einer harmonischen Bestätigung der polizeilichen Ordnung und einer Unsichtbarmachung anderer Darstellungsweisen. Eine solche Entpolitisierung geschieht primär affektiv, d. h. vorartikulatorisch. Die vor allem bei Bildern ausgeprägte Vorsprachlichkeit deutet zudem darauf hin, dass Entpolitisierung vor allem visuell und nicht verbal geschieht. Affekte sind demnach eine wichtige, zu erfassende Dimension des Artikulatorischen. Prä-kognitiv affizierte Affirmationen wirken folglich maßgeblich stabilisierend und universalisierend auf Hegemonien und müssen in einer Diskurstheorie und vor allem einer Theorie visueller Diskurse ausgiebig bedacht werden. So betont auch Stäheli:

„Es wäre denn auch fatal, Machtprozesse ausschließlich auf die Artikulation hegemonialer Diskurse zu beziehen. Durch Affekte werden neue Regierungstechnologien notwendig, deren Effektivität gerade damit zusammenhängt, dass sie hegemonietheoretisch ‚anspruchslos‘ sind. Denn weil sie sich nicht notwendigerweise den komplexen Artikulationsformen eines hegemonialen Diskurses unterziehen müssen, können sie eine eigenständige Wirksamkeit entfalten“ (Stäheli 2007: 135).

Wie jedoch eine solche affektive Dimension methodisch erfass- und erforschbar ist, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen und Überlegungen sein. Ebenfalls bleibt an dieser Stelle unklar, inwieweit sich diese Feststellungen der affektiven Resonanz, der Widerspruchhemmung und der Entpolitisierung auch bei anderen Diskursen und Artikulationen halten lassen, oder es sich hierbei um eine Besonderheit des hier zugrunde gelegten Datenkorpus handelt.

Nichtsdestotrotz ist an dieser Stelle noch einmal zu betonen, dass für eine umfassende Diskuranalyse, nicht nur das hegemoniale Zentrum, sondern auch die Ränder des Diskursiven betrachtet werden müssen. Deshalb sollte eine Refokussierung der Konfliktzonen des Diskursiven, Jurij Lotman bezeichnet solche als Peripherien (vgl. Lotman 2010), auch bezüglich visueller Entitäten weiterverfolgt werden. Zu untersuchen gilt es, wie dort Subversion, Kritik und Konflikt möglich ist, obwohl die affektive Dimension des Visuellen dem entgegenzustehen scheint. Mithilfe einer Kombination der Ansätze von Laclau und Mouffe mit denen von Lotman lassen sich möglicherweise die sichtbarwerdenden Risse und Brüche der sozialen Ordnung differenzierter und eingehender erfassen. Ähnlich, wie dies bei Laclau und Mouffe erfolgt, gründet sich auch das Konzept der Semiosphäre von Jurij Lotman, auf dem Verhältnis des Inneren zu seiner Grenze. Interpretiert man den Begriff der Semiosphäre weitestgehend synonym zu dem des Diskursiven, so werden dessen Parallelen zur Differenz- und Äquivalenzbildung mittels der Praxis der Artikulation und der Entleerung eines Signifikanten deutlich: So entstehe auch Lotman zufolge „[d]ie Einheit des semiotischen Raumes der Semiosphäre […] durch ein einheitliches Verhältnis zur Grenze, die den inneren Raum der Semiosphäre vom äußeren, ihr Innen von ihrem Außen trennt“ (ebd.: 173, Herv. i. O.). Ebenfalls ist jedoch hierbei „[d]er innere Raum der Semiosphäre [.] auf paradoxe Weise sowohl ungleichmäßig und asymmetrisch als auch einheitlich und homogen“ (ebd.: 174). Währenddessen scheint das außergewöhnlich dynamische Kulturverständnis von Lotman den Blick noch stärker auf Grenzverhandlungen und Aushandlungsprozesse zu richten. Da die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie stets nur „‚regelwidrige‘ und ungenaue, aber in bestimmter Hinsicht äquivalente Übersetzungen“ (ebd.: 54) zulässt, ist der Ort der Peripherie die Stelle, an der Abweichungen vom Konsens bzgl. der vermeintlichen Universalität der Hegemonie möglich werden. Ergänzt man die Praxis des In-Beziehung-Setzens durch eine Perspektive wechselseitiger Übersetzungsprozesse zwischen Zentrum und Peripherien, so lassen sich möglicherweise Prozesse der Subversion und der Destabilisierung des (hegemonialen) Zentrums noch dezidierter in den Blick nehmen.

Fest steht jedoch, dass sich eine affektive Komponente visueller Artikulationen an mehreren Stellen bemerkbar gemacht hat. Daraus wurde geschlossen, dass die Besonderheit von visuellen Artikulationen in ihrer vorsprachlichen Charakteristik liegen mag, die eine affektive Resonanz erzeugen und paradoxerweise Dissens einschränken und in anderen Fällen zu Entrüstungen führen können. Dissens, der durch Abweichungen vom harmonischen Zentrum ausgelöst wird, kann hierdurch eine polizeiliche Funktion des hegemonialen Diskurses übernehmen. Hierdurch erschienen Bilder, mehr als Texte oder Praktiken, an der hegemonialen Bereinigung von Schwangerschaft beteiligt zu sein. Die soziale Formung der Dimension des Körperlichen, die Verknüpfung von Zeichen mit spezifischen affektiven Reaktionen und die Akkumulation von Affekten zu einem Körpergedächtnis, kann schließlich als polizeiliches und politisches Instrument nutzbar gemacht werden. Die positive Affizierung eines Objekts der Begierde führt zu einer Universalisierung und Stabilisierung, also einer Hegemonialisierung, des von ihm repräsentierten Diskurses, jedoch kann theoretisch auch die Sichtbarmachung von Ungleichheiten oder Exklusionsprozessen affektive Resonanz erzeugen und schließlich zu einer Neuverteilung des Sinnlichen führen. Charakteristiken, Bedingungen und Möglichkeiten eines affektiven Trainings, sowie die Relevanz visueller Artikulationen für eine solche Affektpolitik müssen zukünftig ausführlicher betrachtet und sowohl in eine allgemeine (hegemoniale) Diskurstheorie als auch in eine Theorie visueller Diskurse einbezogen werden.


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